Staatschutzpfusch im Hause Vogt

Elisabeth Vogt erzählt von der Arbeit ihres Ehemannes, des Schriftstellers und Arztes Walter Vogt, der im Haus der Familie an der Weststrasse 3 in Muri bei Bern ab 1972 bis zu seinem Tod 1988 eine psychiatrische Privatpraxis betrieben hat.

Im Haus habe es zwei Telefonanschlüsse gegeben: einen Anschluss für die Praxis im Parterre und einen privaten in der Wohnung der Familie im ersten Stock. Als Schriftsteller geschrieben habe er grundsätzlich an seinem Schreibtisch in der Wohnung. Er habe vom «Gefäss des Schreibens» gesprochen. Alles habe stimmen müssen: Er musste geduscht und gefrühstückt haben (die Zeitunglektüre verbot er sich), die Kleider mussten stimmen (Morgenrock, rote Socken, Pantoffeln), Raum und Schreibtisch mussten aufgeräumt sein. Damit er während des Schreibens als Arzt erreichbar blieb, konnte er die Anrufe vom Praxisanschluss auf den privaten umleiten und so im ersten Stock die Anrufe auf beiden Anschlüsse entgegennehmen – was dann oft auch seine Ehefrau tat. 

Eines Tages begann das Ehepaar Vogt, Merkwürdiges zu beobachten: Sobald der Schriftsteller beiden Anschlüsse zusammenschloss, war der Empfang der Anrufe miserabel: kaum verständliches Gegenüber, Klicken und Rauschen. Trennte er die Anschlüsse, war der Empfang auf den beiden Apparaten wieder normal.

Weil Vogt in den Medien regelmässig als kritischer Publizist auftrat und als Psychiater dafür bekannt war, jungen Männern von Fall zu Fall mit einem Gutachten den Weg aus der Armee zu ermöglichen, ging er selber sofort davon aus, dass der Staatschutz ihn nun telefonisch überwache. Das technische Problem musste demnach mit dieser Telefonüberwachung zu tun haben.

Eines Tages, als er sich wieder über den miserablen Empfang ärgerte, habe er sich daran erinnert, dass in der Nachbarschaft, am Parkweg 6, der st. gallische Bundesrat Kurt Furgler mit seiner Familie vor einiger Zeit eine Villa bezogen habe. Furgler war zwischen 1971 und 1983 als Vorsteher des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements unter anderem für den Staatsschutz zuständig. Deshalb ging Vogt am Abend hinüber, klingelte und konnte richtig mit dem Bundesrat sprechen. Was er dem Magistraten gesagt hat, ist nicht genau bekannt. Aber man kann es sich vorstellen: Er, Vogt, gehe davon aus, dass der Staatsschutz seine Telefonanschlüsse überwache. Dies störe den Empfang derart, dass er als Arzt seine Patientinnen und Patienten kaum mehr verstehen könne. Er bitte den Bundesrat, die Zuständigen anzuweisen, diese Überwachung – wenn sie denn für das Vaterland nötig sei – technisch zumindest so einzurichten, dass ihm seine Arbeit nicht verunmöglicht werde.

Bereits kurz darauf, erzählt Elisabeth Vogt, habe sich die Tonqualität der zusammengeschlossenen Apparate im ersten Stock derart verbessert, dass sie mit Vogt übereingekommen sei, der Familie des hilfsbereiten Nachbarn eine selbstgebackene Züpfe vorbeizubringen. (Nach dem Tod ihres Ehemanns bemühte sich Elisabeth Vogt im Nachgang zur Fichenaffäre von 1990 erfolgreich um die Einsicht in dessen Staatsschutzfichen und die dazugehörigen Akten[1]. Die Telefone im Hause Vogt sind tatsächlich überwacht worden.)

[1] Fichen und Akten liegen heute in Walter Vogts Nachlass im Schweizerischen Literaturarchiv unter SLA-Vogt-C-1-e/1-3.

(25.10. + 07.+09+13.11.2017; 29.06.2018)

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