Editorial zum Mäander 5

1988/89 habe ich neben meiner Arbeit als Redaktor der WochenZeitung (WoZ) an einem Buch gearbeitet, das «Konvolut» heissen, vier Gedichtzyklen aus den Jahren 1974 bis 1986 umfassen sollte und schliesslich kurz vor Weihnachten 1989 gedruckt vorlag. Unterstützt wurde ich bei dieser Arbeit vom Grafiker Daniel von Rüti, der für ein symbolisches Honorar das Buch gestaltete und die Produktion leitete mit dem Auftrag, eine Auflage von rund 500 Exemplaren so zu bewerkstelligen, dass diese äusserlich als Unikate erscheinen würden. So wollte ich eines der zentralen Postulate der Warenästhetik – die Wiedererkennbarkeit des gleichen Produkts an seiner Verpackung – unterlaufen. Von Rüti löste diese Aufgabe, indem er den Umschlag der Bücher mit Ausschnitten aus grossen Andruckbögen für eine Postkartenserie gestaltete sowie mit mehreren doppelseitigen, nach dem Zufallsprinzip variierten, collagenartigen Illustrationen.

In einem vulgärmarxistisch-dadaistischen Geleitwort behauptete ich, dass das vorliegende Selbstverlag-Buch kein Buch sei, denn ein Buch sei ja «die warenförmig zusammengeleimte aufbereitung von geschriebener sprache». Ich bestritt die Warenform des Produkts, und ich bestritt, dass es als Nicht-Ware einen Tauschwert haben und veröffentlicht werden könne. Als Konsequenz habe ich die gedruckte Auflage in der folgenden Zeit gratis an Leute meiner Wahl abgegeben, wobei ich Wert auf die Feststellung legte, ich würde die «Konvolute» nicht «verschenken», sondern zum einzig vernünftigen Preis für ein Nicht-Buch – für 0 Franken – verkaufen. Statt eines Copyright-Vermerks hielt ich auf dem Vorsatzblatt der Publikation fest: «Wer das Konvolut oder einzelne Texte daraus krass missbräuchlich verwendet, den treffe der Bannspruch der Poesie.» Die Aktion hat mich rund 12’000 Franken gekostet. Öffentlich greifbar ist das «Konvolut» in der Schweizerischen Nationalbibliothek unter der Signatur N 195600.

Die vorliegenden Werkstücke habe ich während und nach der Produktion des «Konvoluts» geschrieben. Zum einen beschäftigte mich Theoretisches um etwas abseitige Fragen wie diese: Wem gehört die Sprache und was ist daran besitzbar? Gibt es demnach auch ein Eigenes an der Sprache? Wie habe ich mir für meine Zwecke «Öffentlichkeit» zu denken? Warum ist der Rahmen, in dem eine künstlerische Äusserung vor ein Publikum gebracht wird, eine ästhetische Kategorie? etc. Zum anderen machte ich mir auch Notizen zu für mich interessanten Reaktionen auf dieses Projekt.

(07.09.2017; 17.06.2018)

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