Kreditanstalt präsentiert Marc Chagall

Aus Anlass der aktuellen Marc-Chagall-Ausstellung im Kunstmuseum Bern[1] publiziert der Bund einen Bericht über «Kultursponsoring», worunter er «Kunstsponsoring» versteht (Bund, 03.01.1996). Als Fachmann gibt Sandor Kuthy, Ausstellungsmacher des Museums, Auskunft. Seine Äusserungen klingen unbedarft. Zum Beispiel gibt er an, er überklebe das Logo der Schweizerischen Kreditanstalt, die die Chagall-Ausstellung sponsort, auf dem persönlichen Exemplar des offiziellen Ausstellungsplakats mit einer weissen Etikette, weil er es «nicht schön» finde.

Wenn ich daraus schliesse, dieser private, ästhetisch motivierte Protest sei das Niveau des Widerstands des Kunstbetriebs gegen ihre Vereinnahmung durch PR-Massnahmen grosser Konzerne, die sich seit den achtziger Jahren verstärkt haben, dann schliesse ich daraus, dass dieser Widerstand vor dem Zusammenbruch steht.

«In nächster Zukunft brauchen wir für alle grösseren Ausstellungen Sponsoren oder eine Defizitgarantie», und zwar weil «die Kosten für Ausstellungen steigen», sagt Kuthy. Weiter: «Kultursponsoring gibt es schon lange, nur wurde es kaum bemerkt», weil es bisher «diskreter zu und her gegangen» sei. Was wohl bedeuten soll: Nachdem sich der Kunstbetrieb immer mehr in die finanzielle Abhängigkeit wirtschaftlicher Interessen begeben hat, können sich deren Repräsentanten unterdessen ihrer bisher geübten Zurückhaltung entledigen. Anstelle eines früheren Zeiten nachempfundenen diskreten Mäzenatentums tritt immer offener das indiskrete Sponsoring mit dem Anspruch: Wer zahlt, befiehlt.

Woher aber nimmt das Kunstmuseum Bern das Recht, Marc Chagall zum Werbeträger der Schweizerischen Kreditanstalt zu machen und diesen PR-Gag für Kunst auszugeben? (Mal abgesehen davon, dass das Chagall möglicherweise nicht gestört hätte und die Rechte für die Ausstellung mit den Nachlassverantwortlichen zweifellos vertraglich geregelt worden sind. Aber ich frage ja nicht als Jurist, sondern als einer, der nach der inhaltlichen Bedeutung von kulturellen Produkten, also von Kunst, fragt über ihren Marktwert hinaus.)

[1] Gemeint ist ist die Ausstellung «Marc Chagall 1907-1917», die vom 16.12.1995 bis zum 28.2.1996 im Kunstmuseum Bern gezeigt worden ist.

(3.1.1996, 18.6.2006; 14.10.2017)

 

Nachtrag 1

Ich verstehe meine damalige Empörung bis heute und bin auch jetzt davon überzeugt, dass meine Gründe für diese Empörung wichtiger sind, als sie jenen Kulturschaffenden scheinen dürfen, die heute solche sind und bleiben möchten.

Aber ich bin unterdessen auch überzeugt, dass Sandor Kuthy schon damals nicht «unbedarft», sondern höchstens ein bisschen ungeschickt und im übrigen ein realistischer Kulturfunktionär gewesen ist. Schon damals arbeitete in vergleichbaren schweizerischen Kulturinstitutionen wohl kaum noch jemand, der oder die nicht die Kröte der Abhängigkeit geschluckt hätte und tat, was jene wollten, die bezahlten. Im zitierten Bund-Artikel sagte Kuthy auch: «Lieber ein Plakat mit Werbe-Logo als keine Ausstellung.»

Der Trick: Die Beschränkung – und Verabsolutierung! – auf die ästhetische Fachkompetenz erlaubt es KulturfunktionärInnen sich einzubilden, Sponsoren nähmen keinen Einfluss auf die Inhalte, bloss weil sie keinen Einfluss im Bereich ihrer ästhetischen Fachkompetenz nehmen. KulturfunktionärInnen haben in ihrer Ausbildung über den Bilderrahmen hinaus nie etwas vom Rahmen der Kunst als ästhetischer Kategorie gehört.

(05.04.2008; 02.11.2017)

 

Nachtrag 2

Was mich heute, zwanzig Jahre nach der Formulierung des Werkstücks, betroffen macht: Dem kritischen Diskurs über die Probleme des Kunst- und Kultursponsorings, den es in den neunziger Jahren gegeben hat, bin ich seit Jahren nicht mehr begegnet.

Die Empörung, die damals nicht nur die meine gewesen ist, ist dem konsolidierten Bewusstsein der Normalität gewichen, dass sich jedes künstlerische Bemühen von vornherein kaufen lassen muss, um tätig werden zu können. Da Geld nicht stinke, spiele zum Beispiel die damals diskutierte Differenzierung zwischen öffentlicher Kulturförderung und privatem Kultursponsoring keine Rolle. Der Einwand, Kunstschaffen im Dienst der Imagepflege von Sponsoren könnte einen künstlerischen Anspruch allenfalls neutralisieren oder gar pervetieren, sei moralisierend und habe mit Kunst nichts zu tun.

Ich bleibe misstrauisch. 1937 ist Herbert Marcuse bei der Beschreibung des «affirmativen Charakters der Kultur» von einer historisch entstandenen Trennung von Kultur und Zivilisation ausgegangen und hat «affirmative Kultur» beschrieben als «der bürgerlichen Epoche angehörige Kultur […], welche im Laufe ihrer eigenen Entwicklung dazu geführt hat, die geistig-seelische Welt als ein selbständiges Wertreich von der Zivilisation abzulösen und über sie zu erhöhen. Ihr entscheidender Zug ist die Behauptung einer allgemein verpflichtenden, unbedingt zu bejahenden, ewig besseren, wertvolleren Welt, welche von der tatsächlichen Welt des alltäglichen Daseinskampfes wesentlich verschieden ist […].»[1]

Übersetze ich dieses Zitat in die Terminologie meiner Werkstücke, so entspricht Marcuses Zivilisation etwa meiner «Kultur als Prozess» und seine «affirmative Kultur» dem, was ich als «Kunst» gefasst habe. Insofern «Affirmative Kultur»/«Kunst» eine von der «Zivilisation»/vom «kulturellen Prozess» überhöhte «ewig bessere Welt» behauptet, produziert Kunst Ideologie. Auf diese Ideologie nimmt – um auf dieses Werkstück zurückzukommen – das von privaten Interessen gesteuerte Sponsoring Einfluss, und zwar aus zwei Gründen: Zum einen soll das Image des Sponsors als kulturfreundlich – also affin für bessere Welten – herausgestrichen werden, zum anderen soll insinuiert werden, die hier gesponsorte künstlerische Ausformulierung der «ewig besseren Welt» stehe mit den Privatinteressen des Sponsors in Einklang. Diese Insinuation kann allerdings zur Neutralisierung oder gar Pervertierung des künstlerischen Anspruchs führen.

Über Marcuses affirmativen Charakter der Kultur hinaus könnte so gesehen der grundsätzlich korrumpierte Charakter gesponsorter Kunst behauptet werden. Eigentlich interessant, dass das nicht einmal mehr die Kunstschaffenden selbst zu interessieren scheint.

[1] Herbert Marcuse: Über den affirmativen Charakter der Kultur, in ders.: Schriften Band 3. Springe (zu Klampen Verlag)  2004, S. 192.

(18.10.2017; 25.06.2018)

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