Konvolut-Rezeption – ein Zwischenbericht

Unterdessen habe ich etwa 330 der insgesamt 520 «Konvolute» verteilt. Eine Diskussion ist zeitweise entstanden um das «Geleit»-Wort: Die Warenform des «Konvoluts» bleibe unverändert bestehen, auch wenn ich dies abstreite (Michele Jordi, Giaco Schiesser). Viele haben nicht argumentiert, sondern stillschweigend zum Tauschhandel mit Naturalien Zuflucht genommen (zum Beispiel Meienbergs Kollege Hermann Bürgy). Ansonsten: Höfliche Komplimente, Bedauern darüber, dass man vieles nicht verstehe; Bedauern über meine «negative» Weltsicht («Ich möchte eigentlich wissen, warum Du so verächtlich über vieles denkst? Es gibt doch im Grunde genommen mehr gute Menschen als andere», so zum Beispiel meine Gotte).

Zum «Rahmen». Zwar wird der Rahmen von künstlerischen Produktionen zurzeit auch öffentlich diskutiert (vor allem wegen der 700-Jahr-Feier), jedoch abgehandelt als eine moralische, nicht eine ästhetische Frage (im Sinn von: Der Rahmen sei eine Frage der staatsbürgerlichen Gesinnung, nur GesinnungsterroristInnen vermengten diese Frage mit der Kunst). Die These, den Rahmen als werkimmanentes Kriterium in die ästhetische Diskussion einzuführen, ist jenseits des Horizonts solcher Auseinandersetzungen.

Kein Gespräch, keine Replik, kein Argument im Hinblick auf die Besitzverhältnisse an der Sprache. Damit hängt meine Idee der poetischen Konstellation, das merke ich zunehmend, in der Luft, oder besser: in einem a-kommunikativen Vakuum (ist, was ich postuliere, völlig unverständlich oder völlig abwegig?).

In meinem Denken fällt die Idee der «poetischen Konstellation» in sich zusammen. In der Praxis zerbröseln die Versuche zurzeit zum kreuzworträtselnden Gebastel. Die Wörter zerfallen in ihre Para-Sinne und Sinnfreiheiten der einzelnen Laute und im Schriftlichen in die abstrakten Zeichen der Buchstaben. Hier wird die Differenzierung von primärer und sekundärer Sprachebene illusionär: Was will ich mit «gi» sagen, und wem gehört der Buchstabe «c»?

Damit unverbunden bleibt die Überzeugung: Gesellschaftliche Machtverhältnisse sind der Sprache eingeschrieben, sie an ihr aufzuzeigen – und zwar nicht (nur) auf der Oberfläche der Inhalte, sondern im «Unterbau» der Sprach- und Textorganisation sowie der Begriffskonnotationen – wäre eigentlich Aufgabe emanzipativer Spracharbeit.

Es scheint, dass meine Auseinandersetzung mit der poetischen Konstellation ein privatsprachliches Experiment ist, das somit dem kommunikativen Tod anheimfällt (siehe hier, Nachtrag 1). Die Idee dieser Form aufgeben? Oder sie weitertreiben im Bewusstsein, mich in Randregionen des sprachlichen Universums zu bewegen, auf die Gefahr hin, früher oder später im Gelalle eines privatsprachlichen Wahns als harmloser sozial Auffälliger zu gelten?

Oder von vorne beginnen mit der einfachen Frage: Wozu will ich eigentlich wem was sagen? Daraus ein neues Wie erarbeiten? Weniger ambitiös den begrifflichen Autobahnen etwas entgegenstellen, auf denen ich die Lügner der Normalität spazierenfahren sehe? Sinn vorführen als taumelnde Schattengestalt auf dem schrundigen, abwärts geschichteten, brüchigen Schiefer der Begrifflichkeit? Und immer wieder: Die verordneten Wahrheiten denunzieren als Herrschaftskonstrukte.

(08.07.1990, 30.09.1997; 25.09.2017; 21.06.2018)

v11.5