Vier Absagen

1.

Anfrage wegen Teilnahme an der «Persönlich»-Sendung vom 11. Mai 2003 auf Radio DRS 1. An Christine Hubacher, Bern, 3. März 2003:

 «Ich beziehe mich auf unsere Gespräche letzthin. Du hast mich angefragt, ob ich an einer ‘Persönlich’-Sendung teilnehmen würde, ich habe mir Bedenkzeit ausbedungen, wir sind so verblieben, dass Du Anfang April mit mir Kontakt aufnehmen würdest im Hinblick auf die Sendung vom 11. Mai 2003. Ich habe mich unterdessen entschieden, nicht teilnehmen zu wollen und teile Dir das bereits jetzt mit, damit Du anders disponieren kannst.

Zur Begründung: Ich habe wie schon gesagt Vorbehalte gegen einen solchen ‘ad personam’-Auftritt – insbesondere aus beruflichen Gründen. Ich habe in den achtziger Jahren als WoZ-Redaktor aus ziemlicher Nähe zugeschaut, wie Niklaus Meienberg in seine Lebenskrise geschlittert ist. Sie hatte zweifellos verschiedene Gründe, von denen ich einige erst im Nachhinein in Marianne Fehrs Buch[1] kennengelernt habe. Ein Grund war für mich aber bald einmal offensichtlich: Meienberg hatte es aus Gründen, die man nennen könnte, nötig, als öffentliche und bedeutende Person wahrgenommen zu werden. Diese Tatsache zwang ihn, überall aufzutreten, wo man ihm dazu die Möglichkeit gab, und überall dort hinzustehen, wo Kameras und Mikrofone standen. Das führte dazu, dass er in der Deutschschweiz so bekannt wurde wie ein bunter Hund. Und das wiederum führte dazu, dass er schon Mitte der achtziger Jahre nicht mehr als recherchierender Journalist, sondern nur noch als Faktotum Meienberg auftreten konnte: Seine oberflächliche Bekanntheit verbaute ihm die Möglichkeit zu recherchieren. Alle Leute, die er sich zu Gegnern erkor, kannten ihn, liessen sich von ihm freudig in die Pfanne hauen und brüsteten sich damit. Meienberg wurde zum Gespött seiner Gegner und zum Ärgernis seines Netzes. Item.

Ich habe daraus gelernt: Entweder bin ich Journalist oder Literat – und nur der letztere braucht den ‘ad-personam’-Auftritt, weil er im herrschenden Literaturbetrieb mit seinem Namen und seinem Gesicht sein Produkt – das neue Buch – vertreten muss (so gesehen unterschied Meienberg den Schurni vom Literaten nicht oder zu wenig).

Was nun meine gesellschaftspolitische Position als Journalist betrifft, ist nach zwanzig Jahren WoZ klar, dass mein Netz, das mich trägt und woher ich die Anregungen beziehe, die Welt der Links-Alternativen ist (im ersten Jahr meines freien Schurni-Lebens, 2002, habe ich für ‘bürgerliche Zeitungen’ genau fünf Mal gearbeitet, und zwar jeweils für die BZ mit einem Tagesansatz, der sich von jenem der WoZ nicht mehr gross unterscheidet. Das heisst: Auf mich wartet dort niemand.) Ich lebe in erster Linie von der WoZ und von der Gewerkschaftspresse. In diesem Netz aber kann mir ein ‘ad personam’-Auftritt nur schaden. Man hat einfach schon zu viele ehemals kritische Geister gesehen, die sich ihren intellektuellen Abgang vom kulturellen Kapital vergolden liessen, das ihnen die grossen Medien zuspielten, sobald sie ‘vernünftig’ zu reden und freundlich zu lächeln begannen. Ob ich das auch tun würde, ist offen, aber dass mich ‘meine’ Leute, die für mich wichtig sind, wegen dieses (Vor-)urteils zu meiden beginnen, will ich nicht riskieren.

Der Weg in Deine Sendung ist deshalb nicht der richtige Weg für mich. Ich muss mich nicht mit DRS-Auftritten auseinandersetzen, sondern mit meinem Narzissmus – damit ich ihn soweit im Griff behalte, dass ich nicht in den Sog gerate, der den Niklaus Meienberg schliesslich zur Witzfigur machte (seine grössenwahnsinnige Friedensmission im Golfkrieg 1991).

Bleibt nachzutragen, dass mich Deine Anfrage gefreut und geehrt hat, und dass diese Absage keine Kritik an Deiner Arbeit ist.»

2.

Projekt eines C. A. Loosli-Films. An Werner Wüthrich, Bern, 24. Mai 2005:

«Ich beziehe mich auf unser Gespräch vor einer Woche bei Dir auf der Veranda. Du hast mir dort Deine Idee eines Dokumentarfilms über C. A. Loosli aus Anlass von 100 Jahre ‘Bümpliz und die Welt’ erläutert. Wenn ich Dich richtig verstehe, möchtest Du einen Film machen, in dem drei Ebenen gegeneinander montiert werden: Erstens soll Bümpliz und die Welt von heute gezeigt und mit Zitaten aus Looslis Kolumnen kontrastiert werden. Zweitens sollen Zeitzeugen auftreten und über ihre Erinnerungen an Loosli und an das ehemalige Bümpliz sprechen. Drittens soll ich als File-rouge-Figur in den Film eingebaut werden und als einer, der im Sinn und Geist Looslis arbeitet.

Damit Du disponieren und neu planen kannst, möchte ich Dir hiermit mitteilen, dass ich nach einigen Tagen Bedenkzeit zur Überzeugung gekommen bin, dass ich diese mir zugedachte Rolle nicht übernehmen will. Entscheidend ist für mich das persönliche Argument, zusätzlich wichtig sind zwei berufliche.

Persönlich ist es so, dass ich bis heute Mühe habe, mich als Person öffentlich zu exponieren, für mich war es in den ersten Jahren der journalistischen Arbeit sogar schwierig, mit meinen Texten öffentlich zu werden. Das hat sich gegeben, und vor öffentlichen Auftritten reagiere ich heute zumindest nicht mehr jedes Mal körperlich. Aber grundsätzlich liegt mir bis heute die Rolle, vom Rand her zu beobachten; nicht jene, ins Zentrum zu stehen als Blickfang. Dieser Film wäre für mich ein grosser Stress nicht nur während der Produktions- sondern vor allem auch während der Rezeptionszeit. Das Argument, ich müsse das im Dienst der Sache auf mich nehmen, überzeugt mich nicht. Ich bin zwar bereit, wenn auch nicht gratis, für Loosli Knochenarbeit zu machen (Werkausgabe), nicht aber, mich als der, der ich als Person bin, zu verleugnen. Ich bin kein Filmschauspieler. Auch keiner, der Fredi Lerch spielt.

Beruflich sehe ich zwei Aspekte: Einerseits habe ich ja spontan darauf hingewiesen, dass mich diese Rolle verheizen würde. Diese Überzeugung hat sich gefestigt. Entweder der Film suggeriert tatsächlich, der Journalist und Publizist Fredi Lerch verstehe sich als einer, der in herausragender Weise in der Tradition Looslis stehe. Weil ein solcher Vergleich unter bedeutend mehr Aspekten nicht zutrifft als dass er zutrifft, wäre die Stossrichtung der Kritik klar, soweit sie meine Funktion im Film betreffen würde: Sie würde mich als Berufsmann genüsslich und zu Recht vom selbst gebauten Sockel des paradigmatisch sozialkritischen und integren Journalisten holen. Deshalb werde ich gar nicht erst auf diesen Sockel steigen. Oder der Film suggeriert diesen Zusammenhang zwischen Loosli und mir nicht: Dann gibt es aber auch keinen Grund, die File-rouge-Figur nicht mit einem professionellen Schauspieler zu besetzen.

Andererseits habe ich aus beruflicher Sicht grosse Vorbehalte gegen «ad personam»-Auftritte. (Um solche Auftritte komme ich zurzeit wegen «Echsenland» leider nicht vollständig herum. Hier bin ich aber dem Verlag verpflichtet: Ich meine, ich muss auch etwas zur Verbreitung dieser schlecht verkäuflichen Ware tun.) Zur Begründung: Ich habe in den achtziger Jahren als WoZ-Redaktor aus ziemlicher Nähe zugeschaut, wie Niklaus Meienberg in seine Lebenskrise geschlittert ist. […] Ich bin jetzt zwei Jahre jünger als Meienberg bei seinem Abgang und darauf angewiesen, dass ich meinen Beruf weiterhin ausüben kann. Freier Journalist mit 51 heisst: Der point of no return ist überschritten. Voraussichtlich würde mich heute keine einzige Redaktion der Deutschschweiz mehr anstellen. Ich muss aufpassen, dass mein freier Journalismus nicht allzu schnell zur verdeckten Langzeitarbeitslosigkeit wird, weil mich die KollegInnen als eitle Witzfigur nicht mehr ernst nehmen.

Aus diesen Gründen muss ich Dich bitten, für dieses Film-Projekt von vornherein nicht mit mir zu rechnen. Ich teile Dir das jetzt mit, damit Du Dein Projekt sofort in eine andere Richtung weiterentwickeln kannst.»

3.

Für den 27. Mai 2005 lädt mich Yeboaa Ofosu, die auf Ende Jahr als Präsidentin der stadtbernischen Literaturkommission turnusgemäss zurücktreten soll, zu einem Gespräch ein. Ich bin seit 1. Januar 2001 Mitglied dieser Kommission und mir ist klar, dass es um ihre Nachfolge geht.

Sie teilt mir mit, für ihre Nachfolge habe sich aus der Kommission auf einen entsprechenden Aufruf niemand gemeldet und aus der Sicht des städtischen Kultursekretärs und von ihr selber wäre die beste Lösung, wenn ich ihre Funktion übernehmen würde. Ich lasse sie begründen. Sie spricht insbesondere davon, dass in den nächsten Jahren in der Stadt Bern kulturpolitisch Interessantes anstehe etc. Ich erwidere, dass ich damit gerechnet hätte, hier mit einer solchen Anfrage konfroniert zu werden. Ich hätte deshalb eine Antwort vorbereitet. Sie laute: Es tue mir leid, aber ich lehnte es ab, dieses Präsidium zu übernehmen. Und zwar aus folgenden Gründen:

• Es gibt erstens ein grundsätzliches ideologisches Argument: Mich macht auf dieser Welt voraussichtlich niemand mehr zum «Präsidenten». Ich bin in meinem Leben den hierarchischen Strukturen soweit wie möglich ausgewichen, und wo das nicht möglich gewesen ist, habe ich meine Rolle auf der untersten Hierarchiestufe gespielt – in einem Lehrerkollegium zum Beispiel, im Militär oder jetzt in der städtischen Literaturkommission. Ich kann die Welt in diesem Punkt nicht ändern, aber ich kann, indem ich Vorgesetztenrollen verweigere, soweit es mich betrifft meinen Protest gegen eine zwar effiziente, aber im Letzten destruktive gesellschaftliche Organisationsform zum Ausdruck bringen.

• Und zweitens liegt es auf der Hand, dass ich, wenn ich dieses Mandat annehmen würde, meine eigentlich auf sechs Jahre beschränkte Amtszeit verlängern müsste um mindestens zwei, allenfalls um noch mehr Jahre. Dazu bin ich nicht bereit. Meine Motivation besteht darin, mit der Garantierung einer sechsjährigen Legislatur als Literaturkommissionsmitglied (mit insgesamt 36 Sitzungen und ein bis zwei Wochen ehrenamtlicher Lektüre jährlich) dem Gemeinwesen einen Dienst zu erweisen. Darüber hinaus habe ich keine Ambitionen, im Gegenteil wird mir der Stoss regional interessanter Lektüre seit längerem vermehrt zur Belastung, weil ich meine Lektürezeit wieder für anderes verwenden möchte. Im Übrigen ist es so, dass a) mein versteuerbares Einkommen für 2004 37000 Franken beträgt, was bei unsicheren Berufsaussichten kein grosses Polster ist. Eine noch arbeitsintensivere ehrenamtliche Arbeit auf unabsehbare Zeit meine ich mir nicht leisten zu können. Dass b) das kulturelle Kapital eines solches Engagements jemandem wie ihr – einer Akademikerin beim Berufseinstieg – als «Karriere-Seigel» dienen kann, mir nützt es wenig. c) ist es nach der Erfahrung, die sich mit dem Gedichtband «Echsenland» abzeichnet – dass er ohne ernstzunehmende Rezeption untergeht –, angezeigt, dass ich (aus psychohygienischen und berufsstrategischen Gründen) zum Literaturbetrieb auf Distanz gehe und mein Engagement auf die Entwicklung anderer Ideen verlege. Schliesslich ist es d) von vornherein schief, wenn ein eben wieder erfolglos gebliebener Autor als Präsident einer Literaturkommission auftreten zu müssen meint (nur weil er unfähig ist, erfolgreich zu schreiben, will er jetzt massgeblich mitbestimmen, was gut geschrieben ist).

4.

Programmkommission Solothurner Literaturtage. Am 1. Juli 2005 ruft Vroni Jäggi von Sekretariat der Solothurner Literaturtage an und fragt, ob ich Mitglied der Programmkommission werden würde.

Arbeitsaufwand: 8 Sitzungen in Solothurn, stossweise Bücher lesen, während der Veranstaltungen für jede Moderation 100 Franken, dazu Kost und Logis für drei Tage während der Literaturtage, Spesen für den Rest des Jahres: höchstens 2500 Franken. Ich erbitte Bedenkzeit und sage drei Tage später ab. Mein einziges Argument: Ich bin noch bis Ende 2006 Mitglied der städtischen Literaturkommission in Bern, was aufs Jahr gerechnet inklusive Lektüre sicher drei Wochen Arbeit ausmacht. Ein zweites, mindestens so zeitintensives Ehrenamt würde ich nicht schaffen – um so mehr, als die zu lesenden Bücher wohl nur zu einem kleinen Teil die gleichen wären.

[1] Marianne Fehr: Meienberg. Lebensgeschichte des Schweizer Journalisten und Schriftstellers. Zürich (Limmat Verlag) 1999.

(03.03.2003; 24.05.; 01.06.; 14.07.2005; 16., 31.05.+11.06.2018)

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