Der Tunnel- und der Abrutschtraum

1.

Ich sitze in einem Saal, lange Stuhlreihen sind mit Zuhörenden besetzt, ich kenne niemanden, eben geht eine Veranstaltung der Tagung zu Ende, ich beschliesse, meine Siebensachen liegen zu lassen und nach draussen zu gehen.

Schnitt.

Ich gehe zwischen städtischen Reihenhäusern eine Seitenstrasse hoch.

Schnitt.

Jetzt stehe ich in einer weiten sonnigen Landschaft, hoch oben in einem felsigen Hang, zu meinen Füssen steil abfallend viel scharfkantiger, brüchiger Schiefer mit gleissenden Einsprengseln. Ich springe trittsicher von Felsvorsprung zu Felsvorsprung abwärts. Weiter unten beuge ich mich über den Boden, greife hinein, bewundere den reflektierenden Glimmer in der Hand.

Schnitt.

Ich bin nun unten, sehe auf die Uhr am Handgelenk, sie zeigt an, dass es für die nächste Veranstaltung der Tagung längst zu spät ist. Trotzdem will ich jetzt dringlich zurück, meine Siebensachen liegen ja noch dort.

Schnitt.

Vor mir nun ein ansteigender Fahrweg, nasse dunkelbraun-lehmige Erde. Und wie ich aufwärts blicke, sehe ich, dass ich vor einem weiter ansteigenden Tunnel stehe, seine Öffnung ist schwarz, absolut schwarz. Ich weiss: Da hinauf geht der Weg, aber da hinein will ich nicht. Ich bleibe stehen, zutiefst ratlos: Und was nun?

Ich erwache. Es ist morgens viertel vor drei. Ich bin verschwitzt, das Herz pocht unangenehm in den Ohren. Ich stehe auf, gehe in die Küche, trinke ein Glas Wasser. Nur langsam beruhigt sich der Herzschlag.

2.

In der Nacht auf den 10. Juli 2012 träume ich folgendes: Ich bin mit H. auf einem Berggrat unterwegs. Es geht darum, dass wir nun gegen rechts in die sehr steile und unabsehbar lange Flanke absteigen sollen oder wollen. Gleichzeitig ist auch klar, dass sich in dieser Flanke nicht gebirgige Natur, sondern ein sozialer Raum befindet, in der man in angenehmer Weise unter Menschen ist.

Ohne dass ich es wirklich sehe, springt H. in diese Flanke; verschwindet, ohne dass ich sie verschwinden sehe, ist aber mit mir weiter gesprächsweise im Kontakt. Ich zögere meinerseits mit dem Sprung, gehe auf dem Grat noch einige Schritte weiter, springe dann, finde mich in einer senkrecht abfallenden Runse wieder und beginne im sehr steilen Gelände abzurutschen. H. scheint jetzt ausserhalb der Runse schräg unter mir zu sein, etwas später neben wir, wir verständigen uns ohne Hektik, worüber weiss ich nicht.

Währenddem rutsche ich weiter abwärts. Klar ist, ich bin nicht in felsiges Gelände geraten, eher gleite ich über erdigen, allenfalls lehmigen Untergrund, insofern weder unangenehm noch schmerzhaft. Allerdings ist das Gelände so steil, dass ich keine Möglichkeit sehe, das Rutschen durch eine bewusste Handlung zu stoppen. Jetzt, da ich etwa in gleicher Höhe wie H. zu sein scheine, erahne ich den sozialen Raum der vielen Menschen, die es hier zu geben scheint, als angenehm. Sehen kann ich nichts, weil ich in dieser kanalartigen Vertiefung unterwegs bin.

Ich rutsche, ziemlich genau in der Falllinie, in unvermindertem Tempo weiter und weiter, ohne dass sich das Gelände verändern würde oder ein Ende, ein Talboden zum Beispiel, zu sehen wäre. Deutlich empfinde ich, wie H. jetzt schräg über mir zurückbleibt und ich schnell aus der angenehmen sozialen Zone gleite. Nun bin ich allein und schnell nimmt die Angst zu, weil mir plötzlich klar ist, dass ich zu weit abgerutscht bin; dass ich, sollte ich endlich aus der Runse herauskommen, nicht mehr die Kraft finden werde, wieder aufzusteigen. Diese Rutscherei bekommt jetzt etwas Irreversibles und erzeugt in mir das Gefühl einer dumpfen Verzweiflung. So erwache ich, nachhaltig erschüttert, und ich habe Mühe, wieder einzuschlafen.

Als ich tags darauf – ich bin unterdessen zu Besuch in Thusis – auf einem Spaziergang der Künstlerin Lilly Keller diesen Traum erzähle, findet sie ihn als Symboltraum interessant und deutet ihn hoffnungsvoll, weil er den Aufbruch in etwas Neues darstelle, der alles Bisherige zurücklasse.

(26.03.; 11.07.2012; 17.05.2017; 17.05., 01.+13.06.2018)

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