Krieg um Öl

1.

Seit dem 17. Januar 1991 wird geschossen. Seither werden die «multinationalen Truppen» auf saudiarabischem Boden in den Medien immer häufiger als «Alliierte» bezeichnet, Saddam Hussein dementsprechend als «neuer Hitler» verdammt. Die Menschenopfer – sie werden von beiden Seiten verschwiegen – müssen in die zehntausende gehen. Die Ölteppiche im persischen Golf bezeichnen Fachleute als «Öl-GAU». Sprechen die US-amerikanischen Militärs von «collateral demage», sind zivile Opfer gemeint, die «neben dem eigentlichen Schaden» entstünden. Der Krieg sei ausgebrochen, so die Sprachregelung, weil der Irak mit der Besetzung Kuwaits am 4. August 1990 Völkerrecht verletzt habe. Man kann sich an Israel erinnern, an Ost-Timor, an Grenada, Panama, Nicaragua. Noam Chomsky resümiert: «Wie andere Staaten auch machen die USA, was sie wollen, sie betrachten Gesetze und Grundsätze als ideologische Waffen, die dann eingesetzt werden, wenn sie dienlich sind und die dort abgelehnt werden, wo sie stören.»[1] Darum wird jetzt Kuwait befreit (vgl. hier, S. 21).

Zensur und Propaganda funktionieren als multimediale Nonstop-Show, kulturindustriell gestylt von den Sprachregelungen bis zum Livemitschnitt der Fliegerangriffe aus der Bomberperspektive. In einem unbewachten Moment rührt mich der Bericht einer Nahostkorrespondentin, die die ersten Kriegstage in Bagdad verbracht hat: «Saddam al-Janabi vom Informationsministerium war der Zensor. Er benahm sich eher wie ein Lehrer, dem man einen Aufsatz abgeliefert und nicht wie ein Zensor, dem man ein Bündel Meldungen zeigt. Er hatte nur einmal etwas einzuwenden. Als ich ihm eine Reportage aushändigte, in der ich das Wort ‘jüdischer Staat’ gebraucht habe, sagte er, das sei rassistisch.»[2] Einen Augenblick später ärgere ich mich über meine Berührtheit: Wer sagt mir, dass die Schilderung des menschlichen Zensors nicht von diesem selber zu seinen Gunsten redigiert worden ist?

Dass die Schweiz in den letzten Jahren militärische und chemische Produkte in den Irak exportiert hat, bestreitet niemand. Im Ständerat hat hierzu der Thurgauer Thomas Onken die sozialdemokratisch laue Kritik formuliert: «Jetzt ernten wir die Folgen von Lauheit.» Wer erntet da was? Die Rechnungen der vaterländischen Industrie werden ja von Saddam Hussein wohl bezahlt worden sein und die Toten gibt es nicht im Thurgau.

2.

Am 28. Januar faxt Mariella Mehr aus Tomils der WoZ einen Aufruf der «Frauenaktion Scheherazade», der neben ihr auch Elfriede Jelinek, Felicia Langer, Maria Mies, Kate Millet, Rossana Rossanda, Helke Sanders, Dorothea Sölle und viele andere unterzeichnet haben. In ihrer Begleitnotiz schreibt sie: «Bitte stellt mit diesem Text Unterschriftenbogen her und sammelt so schnell wie möglich Unterschriften!» Im Aufruf heisst es unter anderem: «Ja oder Nein zu diesem Krieg – Weltabstimmung jetzt! Waffenstillstand sofort! Kein dritter Weltkrieg! Wir Frauen fordern, dass die Mehrheit dieser Welt zu Wort kommt! Wir wissen, dass unser Gedanke utopisch und verrückt klingt – aber ein vom Golf ausgehender Weltkrieg ist millionenfach verrückter. Wir wissen, dass es nicht die Herren Präsidenten und Generäle sein werden, die in ihren sicheren Befehlsbunkern den Tod finden werden. Sterben wird die den fürchterlichen Massenvernichtungsmitteln ausgesetzte Zivilbevölkerung. […] Wir fordern eine Welturabstimmung im Namen des Friedens, der Demokratie, der Menschenrechte und der Würde jedes und jeder einzelnen: Ja oder Nein zu diesem Krieg. Wir fordern einen sofortigen Waffenstillstand. Wir fordern, dass die UNO die Interpretation des Ultimatums an den Irak nicht den Militärs überlässt. Wenn die Waffen sprechen, darf die UNO nicht stumm werden. […]»

Am 30. Januar faxt Mariella Mehr zur Kenntnisnahme einen Offenen Brief, den sie an den Bundespräsidenten Flavio Cotti zugunsten von abgewiesenen kurdischen AsylbewerberInnen geschrieben hat. Diese befinden sich im obwaldnischen Flüeli Ranft seit längerer Zeit im Hungerstreik. Sie sollen am 15. Februar ausgewiesen werden in den Frontstaat Türkei, der die kurdische Minderheit auch in friedlicheren Zeiten bis aufs Blut drangsaliert.

[1] WoZ, Nr 4/1991.

[2] Lamis Andoni, Financial Times, nach: Bund, 26.01.1991.

[3]  taz, 24.01.1991 und WoZ, Nr. 5/1991.

(31.01., 03.02.1991, 20.03.1998; 11.08.2017; 08.05.2018)

v11.5