Ist die Weltgeschichte bloss ein Kopftheater?

Zweifellos ist es so, dass der Brülldiskurs des ursprünglichen sozialen Sprachuniversums vor allem die linke Gehirnhälfte braucht, die für Sprache, Rechnen, Logik, Ratio verantwortlich ist. Der Warum?-Diskurs und das daraus gewachsene existentielle Sprachuniversum hingegen hat seinen Ort in der rechten Hirnhälfte, die für die Körper- und Bildsprache verantwortlich ist, für die ganze Empfindenskultur und – entsprechend der grundsätzlichen Metaphorik des existentiellen Sprachuniversums – nicht zuletzt über sprachliche Metaphern aktiviert werde, wie ich nachlese.

Als These halte ich fest: Die Funktionsschwerpunkte der beiden menschlichen Hirnhälften haben ihre Struktur – lange vor der geschichtlichen Zeit! – in die soziale Welt hinausgespiegelt und sich dort allmählich als Antagonismus zwischen sozialem und existentiellem Sprachuniversum ausdifferenziert. Nichts hat die Sprachgeschichte mehr geprägt als diese dem menschlichen Kopf entsprungene Dualität.

So wie ich die Sprachgeschichte über die Jahrtausende als sprachpolitischen Kampf um die Hegemonie zwischen Brüll- und Warum?-Diskurs verstehen kann, kann ich sie sehen als Vorliebe der herrschenden sozialen Schichten für eine der beiden Hirnhälften. Die Sprache ist demnach die Arena des ewigen Machtkampfs zwischen Kriegern und Priestern, die im Dienst ihres Machtwahns je die Totalisierung des eigenen Diskurses anstreben und ihn gerade dadurch immer wieder ins Unmenschliche treiben.

So gesehen ergibt sich nebenbei eine neue Definition von Dialektik: Weil Denken (und Reden) das unabschliessbare Spiel zwischen den beiden Hirnhälften ist, gibt es eine Dialektik als Vermittlungsinstanz zwischen dem sozialen und dem existentiellen Sprachuniversum. Führende Priester und Krieger waren zu allen Zeiten gerade deshalb gefährliche Zeitgenossen, weil sie diesen dialektischen Austausch zu verhindern suchten, um selber in ihrer halbierten Welt(wahrnehmung) Recht und die Macht zu haben.

Als Synthese dieses dialektischen Austauschs denke ich mir eine dritte Hirnhälfte: die Utopie eines Sprachuniversums ausserhalb der Gehirnhälftenbedingtheit des Denkens.

(05./17.05.2005; 09.+24.04.2018)

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