Der Sprachtrick mit dem Glauben

Die These von den beiden Sprachunversen lautet: Nicht der existentielle, sondern der profane, interessengesteuerte soziale Diskurs ist der ursprüngliche, das heisst nicht-metaphorische. Sprache entwickelt sich zuerst als Mittel zum Zweck der sozialen Auseinandersetzung. Der existentielle, Leben und Tod betreffende, auf «Wahrheit» zielende Diskurs entwickelt sich erst später als metaphorische Bedeutungsbene über der im sozialen Raum gewachsenen Sprache.

Zuerst sind also die Könige, erst später kommen die Priester, die sich auf der Basis von metaphorischer Rede ein Gegenreich aufbauen – eines das angeblich nicht von dieser Welt sei (was man glauben muss, obschon man, seit es historische Aufzeichnungen gibt, das Gegenteil wissen kann). Das ursprüngliche (Sprach)reich ist jenes unten, das sich aus der sozialen Materialität ergibt – das reaktive ist ein darüber schwebendes (Sprach)reich, das die Existenz des Menschen zum Kerngeschäft macht und sich metaphorisch in die vorgegebene Sprache einschreibt. Jesus sagt: «Ihr seid von unten her, ich bin von oben her; ihr seid von dieser Welt, ich bin nicht von dieser Welt.» (Joh. 8,23) Ist eine solche Bibelstelle mehr als die metaphysisch verbrämte Mahnung an die Knechte, das Knechtsein als Schicksal anzunehmen?

Dass wir also über Leben und Tod grundsätzlich un-eigentlich reden (nämlich metaphorisch in der Sprache des sozialen Universums), zeigt erst die Dimension des tabuisierten Abgrunds der menschlichen Angst vor dem Tod. Gegen diesen Abgrund ist die von den Medien immer wieder gern konstatierte gesellschaftliche Verdrängung von Sterben und Tod ein Klacks.

(01., 08.02.2005; 06.+16.04.2018)

 

Nachtrag

Im Johannes-Evangelium finde ich übrigens auch folgendes Jesus-Wort: «Wenn ich von den irdischen Dingen zu euch geredet habe und ihr glaubt nicht, wie werdet ihr glauben, wenn ich von den himmlischen Dingen zu euch rede?» (Joh. 3,12) In meine Terminologie übersetzt sagt Jesus hier ungefähr: «Wenn ich im sozialen Diskurs zu euch geredet habe und ihr glaubt mir nicht, wie werdet ihr mir glauben, wenn ich im existentiellen Diskurs mit euch rede?»

Der Religionsstifter scheint an dieser Stelle verärgert zu sein. Ungläubig sind ihm all jene, die die metaphorische Rede des existentiellen Diskurses ausschliesslich auf dem auf soziale Diskurse konditionierten Ohr zu hören vermögen. Nötig wäre aber das Umgekehrte: Um Jesus verstehen zu können, müssen jene, die ihm zuhören, seine Rede als metaphorische glauben wollen.

Das ist die Alchimie des sprachlich kommunizierten Glaubens: zu wissen, dass das Verstandene nicht verstanden werden darf, sondern als etwas Unverstehbares geglaubt werden muss.

(09.02.2005; 06., 16., 23.04.2018)

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