Darf man «darüber» schweigen?

Ein berühmtes Diktum von Ludwig Wittgenstein lautet: «Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.»[1] Im Zusammenhang mit der These von den beiden Sprachuniversen stellen sich Fragen: Ist Wittgensteins Satz eine kategorische Absage an das metaphorische Reden? Schliesst der soziale Diskurs damit rhetorisch den existentiellen aus? Ist der Warum?-Diskurs mit Sprache gar nicht führbar, weil dessen letzte Konsequenz die Einführung der Nichts-Metapher «Gott» nötig macht und mit diesem Faktor – im Sinn einer rechnerischen Multiplikation – jede denkbare Aussage vernichtst? Ist deshalb das zweite, existentielle Sprachuniversum, das auf die metaphorische Verwendung der Sprache des sozialen Universums angewiesen ist, zum definitiven Schweigen zu verurteilen?

Mag sein. Aber andererseits: Steht Wittgensteins positivistische Suche nach den logischen Grenzen sinnvoller Aussagen nicht für jene von jedem Ethos gereinigte rationalistische Denkbewegung, die sich heute in der neoliberalen Globalisierung materialisiert und in der unmittelbaren Bedrohung des Subjekts und seiner Lebensgrundlagen (im Sinn Hinkelammerts) gemeingefährlich geworden ist?

Ist Wittgensteins Diktum deshalb wahr um den Preis des ungebremsten zivilisatorischen Crashs?

[1] Ludwig Wittgenstein: Tractatus logico-philosophicus, in: Werke 1. Frankfurt a. M. (Suhrkamp) 1984, S. 85.

(18.05.2005; 10., 17.+24.04.2018)

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