Alkäisch – eine Kurzrecherche[1]

Friedrich Hölderlin sei dem «mit Pindar und Klopstock gesetzte[n] Mass» der alkäischen Odenform treu geblieben, «dem Zeitlauf und seinem wechselnden Geschmack zum Trotz».[2] Den Ehrgeiz, alkäische Strophen zu schreiben, hat Hölderlin allerdings als Jugendlicher bereits skeptisch beurteilt: «Ists schwacher Schwung nach Pindars Flug? Ists/ Kämpfendes Streben nach Klopstoksgrösse?»[3]

Für Friedrich Gottlieb Klopstock sind die «Alcäen» «die vollkommensten lyrischen Verse»[4]. Denn es sei «unsern Jamben und Trochäen» nicht möglich, «es der mächtigen alcäischen Strophe, ihrem Schwunge, ihrer Fülle, ihrem fallenden Schlage, gleich zu thun»[5]. Die Alcäen seien jenes «Sylbenmass», das «am oftesten mit dem Gedanken in die andre Strophe» hinüberlaufe.[6] Bei Alcäus und Sappho gebe es Strophen «von einer Ründe und von so zierlichen Feinheiten des Wohlklangs, dass man von der lyrischen Dichtkunst überhaupt sagen kann, dass sie am nächsten an die Musik gränze.»[7]

Für Klopstock war die Auseinandersetzung mit alkäischen Versen eine ästhetische Frage (was war sie für Hölderlin?). Begründen, aus welchen Gründen ich mich mit dieser Form auseinandersetze (bewusste Verlangsamung des Denkens in einer Welt, die über die Beschleunigung sozialer, ökonomischer, kultureller etc. Abläufe die Felder «Identität» und «Kultur» auseinanderdividiert. Daraus resultiert eine kulturlose, weil handlungsunfähige Identität und eine identitätslose, weil vollständig entfremdete Kultur.)

[1] Diese Kurzrecherche war nötig geworden, nachdem ich mich entschieden hatte, den Stoff meiner Herkunft in einen Zyklus von akläischen Oden zu bringen (vgl. «Roggwil. Alkäisch.»)

[2] D. E. Sattler [Hrsg.]: Friedrich Hölderlin. Einhundert Gedichte. Frankfurt a. M. (Luchterhand) 1989, S. 153.

[3] Friedrich Hölderin: Mein Vorsaz, in: D. E. Sattler [Hrsg.], a.a.O., S. 23.

[4] F. G. Klopstock: Von der Nachahmung des griechischen Sylbenmasses, in: ders.: Der Messias. Gesang I-III. Stuttgart (Reclam) 1986, S. 128.

[5] F. G. Klopstock, a.a.O., S. 135.

[6] F. G. Klopstock, a.a.O., S. 135f.

[7] F. G. Klopstock, a.a.O., S. 138.

(23.8.1995; 18.05.2018)

 

Nachtrag 1

Für Johann Wolfgang Goethe waren Odenformen wie die alkäische kein Thema: «Die von seinen Zeitgenossen so lebhaft erörterten und gehandhabten antiken Odenformen, von denen man meinen könnte, sie seien zumindest dem klassischen Goethe als lebendiges Erbe der Antike bedeutsam gewesen, liess er liegen», schreibt Wolfgang Kayser[1] und führt als Goethes Meinung ein Zitat aus dem «West-östlichen Divan» an: «Zugemessne Rhythmen reizen freilich, / Das Talent erfreut sich wohl daran; / Doch wie schnelle widern sie abscheulich, / Hohle Masken ohne Blut und Sinn; / Selbst der Geist erscheint sich nicht erfreulich, / Wenn er nicht, auf neue Form bedacht, / Jener toten Form ein Ende macht.»[2] Überzeugen kann das Argument freilich nicht, denn schliesslich ist auch der fünffüssige Jambus des Blankverses, den Goethe routinemässig angewendet hat, ein zugemessener Rhythmus, der zur «hohlen Maske ohne Blut und Sinn» werden kann.

[1] Wolfgang Kayser: Kleine deutsche Versschule. Bern/Stuttgart (Francke) 1987/23, S. 61.

[2] Johann Wolfgang Goethe: Gedichte in zeitlicher Folge. Zürich (Schweizer Druck- und Verlagshaus AG) o. J., S. 298.

(23.8.1995; 18.05.2018)

 

Nachtrag 2

«Alkaios, geboren auf Mytilene (Lesbos) um 620, gestorben um 580, griechischer Dichter. Entstammte einem alten Adelsgeschlecht und war auf der Seite des Adels führend an den Parteifehden zwischen Aristokratie und aufkommender Demokratie beteiligt, weshalb er längere Zeit in der Verbannung leben musste. Als Meister des äol. Liedes steht A. zusammen mit Sappho auf einsamer Höhe. Polit. Tendenzdichtung, Kampf- und Hassgesänge gegen die Tyrannen, Jubellieder über deren Sturz, Zech- und Liebeslieder sowie Götterhymnen zeugen von reger literar. Tätigkeit; seine meist in vierzeilige Strophen abgefasste, nur fragmentar. erhaltenen Lieder sind reich an metr. Formen und haben bes. die Dichter der röm. Klassik (Nachbildung der alkäischen Strophe in den Übertragungen der berühmtesten Lieder bei Horaz) entscheidend beeinflusst.»[1]

[1] Meyers Enzyklopädisches Lexikon Bd. 1. Mannheim/Wien/Zürch 1971, S. 726.

(17.03.1998)

 

Nachtrag 3

Die alkäische Odenform ist in diesem Jahrhundert, soweit ich sehe, kaum verwendet worden. Als einzige Ausnahme fand ich bisher zwei Gedichte von Rudolf Alexander Schröder («Monsagrati» [1914/1927], «Septemberode» [1938]).[3]

[1] Rudolf Alexander Schröder: Ausgewählte Gedichte. Frankfurt a. M. (Suhrkamp) 1979, S. 17ff und 57ff.

(17.03.1998; 24.05.2018)

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