Sendepause für Solari

In einem der vielen in letzter Zeit gedruckten Porträts von Marco Solari, dem Delegierten des Bundesrates für die vor einigen Tagen eröffnete 700-Jahr-Feier der Schweiz, schreibt Christian Seiler in der Weltwoche[1], Solari sei «eine eindrucksvolle Konzeption» gelungen, «der nur eine wichtige Voraussetzung fehlte: der Sinn». In meine Sprache übersetzt fehlt der Inhalt, also die aufgrund bestimmter politischer Interessen auf den Kopf gestellte Wirklichkeit – das, was bisher als conditio sine qua non von Ideologie galt.

Vielleicht geht Solari als Schöpfer einer Nullsummen-Ideologie in die Geschichte ein, einer Ideologie, die die menschliche Wahrnehmung selber auf den Kopf stellt, indem sie vorgibt, es gebe keine Wirklichkeit mehr, die aktuelle Herrschaft interpretatorisch auf den Kopf stellen müsse, um die Machtverhältnisse zu stabilisieren. Und wenn’s keine Wirklichkeit mehr gibt, wie sollte es dann noch Herrschaft geben? So rettet ein staatlich bestellter Hofnarr die aktuelle Demokratie als unhinterfragbare Herrschaftsform – dafür stellt er den Kulturschaffenden einen Utopie-Sandkasten zur Verfügung, damit sie nicht auf dumme Gedanken kommen.

Weiter berichtet Seiler, dass Solari «aufrichtig» leide, «wenn ihn die linke Wochenzeitung (WoZ) in ihrem Feldzug gegen die 700-Jahr-Feier zum Lieblingswatschenmann kürt und ihm als Symbol einer fragwürdigen Staatsverwaltung nicht einmal die Möglichkeit einräumt, sich vor ihrem Publikum zu rechtfertigen. […] Er möchte es halt so gerne auch mit der WoZ können.» Solari fühlt sich, so scheint es, von der WoZ ungerecht behandelt, dass man ihn auf Inhalten behaftet («Symbol einer fragwürdigen Staatsverwaltung»), die er gar nicht vertreten möchte, weil es ihm ja nur dann gelingen wird, ein Fest für alle zu organisieren, wenn er es mit dem Fest allen rechtmacht. Dass die WoZ feststellt, er vertrete die Interessen jener, die ihn für 200’000 Franken pro Jahr angestellt haben, findet er unfair; und erst recht, dass sich ihm die WoZ als Kanal verweigert, über den er – in diesem Fall wirkungsvoll kontrastiert von linksoppositionellem Gekläff – seine garantiert pflegeleichte Sinn-Freiheit der von ihm konzipierten Ideologiewalze propagieren könnte.

Auch im Fall dieser Verweigerung ist das Medium die Botschaft. Es lautet: In der WoZ kommt Solari nicht zu Wort. Das verhindert selbstverständlich nicht, dass er die Öffentlichkeit flächendeckend erreichen wird. Aber die Verweigerung der WoZ symbolisiert immerhin – und umso mehr, je öffentlicher Solari darüber lamentiert – das Bröckeln an den Rändern der Hegemonie des ideologischen Nullsummen-Diskurses.

[1] Weltwoche, Nr. 2/1991.

(13.1.1991, 18.3.1998; 12.,14.+15.03.2018)

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