Die ersten Seiten von «Siddhartha»

Ich habe mir in den letzten Monaten in der Wohnung eine Bibliothek der Schweizer Literatur eingerichtet. Da stehen viele Bücher, die seinerzeit über mein Redaktionspult gegangen sind, aber auch Werkausgaben von Bondeli, Gotthelf, Keller, Meyer, Spitteler, Walser, Loosli, Hesse, Gwerder, Frisch oder Dürrenmatt, dazu zwei Laufmeter Sekundäres, im Ganzen weit über tausend Bände. Neues kommt immer weniger dazu. Der letzte Versuch, eines dieser Bücher ganz zu lesen – der eben erschienene Roman eines Bekannten – ist gescheitert: Nach mehreren Wochen, in denen ich das Buch sicher zwei Dutzend Mal in die Hand genommen habe, legte ich es kaum halbgelesen weg. Immer mehr kommt mir das Interesse für Belletristisches abhanden.

Im Büro nebenan stehen auf fast ebenso vielen Büchergestellen lauter Sachbücher. Ich könnte mir sagen, das sei doch ganz normal in den Arbeitsräumen eines Journalisten, der sich zwar ab und zu auch mit Literatur beschäftige, aber ansonsten eben mit vielem anderen auch. Bloss habe ich in den letzten Jahren folgende Erfahrung gemacht: Der freie Printjournalismus, mit dem ich mich bis zur Pensionierung im April 2019 durchzubringen hoffte, ist keine Perspektive mehr. Ich habe zurzeit keine Aufträge und bemühe mich auch nicht mehr um Kontakte zu Zeitungsredaktionen. Bin ich mit Schreibenden noch im Gespräch, dann nicht mit Schurnis, die haben anderes zu tun als mit einem abgehalfterten Konkurrenten zu palavern. Eher rede ich mit sogenannten AutorInnen. Und will Berns Kulturabteilung mit den SchriftstellerInnen der Stadt ins Gespräch kommen, werde auch ich eingeladen.

Ein gutes Jahr vor der Pensionierung muss ich feststellen: Als Journalist bin ich gescheitert und langzeitarbeitslos. Statt stempeln zu gehen, habe ich es vorgezogen, «im Grenzgebiet» über die Grenze ins Exil zu gehen. Geld habe ich in letzter Zeit vor allem als Herausgeber von Walter Vogts berndeutschen Texten und als geförderter Autor des «Stückwerk»-Projekts verdient. Was zu meinem Existenzminimum fehlt, nehme ich vom Geld, das mir meine verstorbenen Eltern hinterlassen haben: Hunderternote um Hunderternote verbrenne ich zurzeit das von meiner Mutter sparsam verwaltete Fabrigglergeld meines Vaters. So muss ich nicht den arbeitslosen Schurni machen. Als Arbeitskraft im Berufsexil erledige ich allerdings Arbeiten, die ich als Journalist nicht ganz ernst nehmen kann, weil sie weder aktuell noch aus meiner Sicht hier und jetzt wirklich notwendig sind (zum Beispiel das Onlineprojekt «Stückwerk»).

Letzthin habe ich mich in meine neue Bibliothek gesetzt und wieder einmal die ersten Seiten von Hermann Hesses Erzählung «Siddhartha» gelesen. Interessiert hat mich am Text nicht das Literarische, sondern dass da von einem die Rede ist, der aus seiner Welt gehen will, nicht um aufhören, sondern um endlich anzufangen. Immer wieder eine gute Idee.

(08.+14.+15.02.2018)

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