Schmieröl gegen Antagonismen

Wie wird dialektisch ein Antagonismus aufgehoben? Und: Kann dialektisch gedacht werden ausser in Antagonismen? Aber: Sind Antagonismen, insofern sie sich als These und Antithese dialektisch aufheben lassen, gar keine (mehr)? Antagonismen konstituieren ja eigentlich ein manichäisches Denksystem. Die dialektische Denkweise ist so gesehen das «Schmieröl», das Antagonismen für ihre Aufhebung «geschmeidig» macht.

Manichäismus sagt moralisch unversöhnlich: Das Gegenteil von schwarz ist weiss und umgekehrt. Dialektik sagt politisch-strategisch: Schwarz ist schwarz nur insofern, als es ein Weisses gibt; denn gäbe es kein Weiss, wäre das Schwarze als solches gar nicht erkennbar: Darum ist – Synthese – weiss ein konstituierender Teil von schwarz und umgekehrt. (Die Behauptung, dass sich schwarz und weiss in einem Grauton aufheben würden, wäre dann die realpolitisch gefederte Form einer Synthese.)

Schwarz wird zwar niemals weiss (oder grau), aber innerhalb des dialektischen Gedankens erscheint es als neues Phänomen: Das antagonistische Eine wird zur Bedingung für sein Gegenteil. Und je mehr zwei Pole antagonistisch erkennbar werden, desto mehr sind sie zwei Seiten eines neuen Ganzen auf einer höheren Ebene, dessen antagonistischer Pol als Antithese immer schon da ist. (Soviel glaube ich in diesem Punkt bisher von Hegel verstanden zu haben.)

Vielleicht reagiert menschliches Erkenntnisvermögen überhaupt nur auf jene Fragmente der Wirklichkeit, die im Blitz eines Widerspruchs aufscheinen. Solche erhellenden Blitze setzen ja voraus, dass das, was den Widerspruch erzeugt, als These bereits vorhanden ist.

(27./30.9.1990; 21.11.1997; 22.+29.01.2018)

 

Nachtrag

Heute lese ich dieses Werkstück als Versuch, aus einem antagonistisch argumentierenden Moralismus heraus zu einem politischen Denken zu finden. Als wenig politischen Moralisten wurde ich auf der WoZ-Redaktion ab 1982 insbesondere in den ersten Jahren wohl nicht zu Unrecht nicht nur bezeichnet, sondern auch behandelt: Routinemässig gab man mir zu verstehen, dass man mich, wenn’s ums Eingemachte ging, denn doch nicht ganz ernst zu nehmen vermöge. (Ich schränke ein: So ist heute meine Erinnerung, ob es tatsächlich so war, weiss ich nicht mehr – mag sein, meine damaligen Minderwertigkeitsgefühle haben die Erinnerung verfärbt, und mir scheinen deshalb heute berechtigte Gegenargumente als paternalistisch-ironisches Nichternstnehmen.)

Im übrigen müsste ich meinen Versuch, mir Friedrich Hegels Dialektik-Theorem für den Hausgebrauch zurechtzulegen, bei Gelegenheit noch zusammendenken mit folgender Bemerkung von Karl Marx: «Die Mystifikation, welche die Dialektik in Hegels Händen erleidet, verhindert in keiner Weise, dass er ihre allgemeinen Bewegungsformen zuerst in umfassender und bewusster Weise dargestellt hat. Sie steht bei ihm auf dem Kopf. Man muss sie umstülpen, um den rationellen Kern in der mystischen Hülle zu entdecken. / In ihrer mystifizierten Form ward die Dialektik deutsche Mode, weil sie das Bestehende zu verklären schien. In ihrer rationellen Gestalt ist sie dem Bürgertum und seinen doktrinären Wortführern ein Ärgernis und ein Greuel, weil sie in dem positiven Verständnis des Bestehenden zugleich auch das Verständnis seiner Negation, seines notwendigen Untergangs einschliesst, jede gewordne Form im Flusse der Bewegung, also auch nach ihrer vergänglichen Seite auffasst, sich durch nichts imponieren lässt, ihrem Wesen nach kritisch und revolutionär ist.»[1]

[1] Karl Marx/Friedrich Engels: Werke Band 3: Deutsche Ideologie. Berlin (Dietz Verlag) 1983, S. 27f.

(22.+29.01.2018)

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