Joker «Gott»

Innerhalb der Sprache ist der Begriff «Gott» so etwas wie ein Joker, ein rhetorischer Passepartout, mit dem wie folgt gespielt wird: Eine postulierte relative Wahrheit wird mit dem Begriff «Gott» verknüpft und so zur absoluten gemacht. «Gott» ist innerhalb des Universums der Sprache das Unentscheidbare, das Unhinterfragbare, das Unrelativierbare, das Unvorstellbare. Deshalb kann seine behauptete Absolutheit innerhalb des Sprachuniversums nicht widerlegt werden. Der Trick des Spielzugs: Wo der Begriff «Gott» auftaucht, überführt er den Diskurs des Wissens und Denkens blitzartig in jenen grundsätzlich anderen des Glaubens.

An «Gott» muss man glauben. Wer behauptet, mit dem Begriff «Gott» denken zu können, lügt (nun ja: halluziniert). Dies ist kein Bekenntnis zum Atheismus, sondern eines zur Sprache als sozialem Verständigungsmittel und gegen die Scharlatanerie der Wahr-Setzung eines unhinterfragbaren Begriffs. Die spekulative Frage, ob es einen Gott gibt oder nicht, ist sowieso uninteressant, weil unentscheidbar. Die Frage, die – seit es Götter gibt – relevant bleibt, ist eine andere: Welcher Gott mit welchen Attributen ist opportun für seine diesseitigen Statthalter? Diese Frage wurde zu allen Zeiten von jenen Menschen entschieden, die mit der Postulierung eines bestimmten Gottes eine bestimmte Herrschaft über andere Menschen begründen wollten.

Interessant – weil entscheidbar – ist demnach nur die Funktion, die der Begriff «Gott» innerhalb des Universums der Sprache hat. Diese Funktion ist klar: Der Begriff will durch Absolutsetzung und gleichzeitig Irrationalisierung des Erkannten den kognitiven Gehalt des ganzen Diskurses, in dem er auftaucht, unentscheidbar machen. Deshalb (und nicht weil seine Existenz nicht bewiesen werden kann) ist Gott – und mit ihm alle analogen, Begriff gewordenen transzendenten Instanzen – im Universum der Sprache unbrauchbar, solange es auf gleicher Augenhöhe um Verständlichkeit – und also Verständigung – im Gespräch gehen soll. Braucht jemand im Gespräch zu einer Begründung den Begriff «Gott», will er mit dieser Machtgeste sagen: Das Gespräch ist in diesem Punkt beendet, und ich habe recht.

Der Begriff «Gott» ist eine autoritäre Machtgeste – diese Feststellung wird Gott, solange er sich meiner Wahrnehmung verweigert, akzeptieren müssen. Er wird’s, schon wegen der Interessenlage seiner Statthalter, überleben.

(25./26.11.1989, 18.9.1997; 23.01.+01.02.2018)

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