Der ungläubige Thomas

Wissen setzt voraus, nichts zu glauben – was für mich nicht Atheismus, sondern das bewusste Bemühen um Indifferenz gegenüber jedem Glauben meint. Nichts zu glauben meint nicht das gleiche wie «Unglauben». In der Geschichte des ungläubigen Thomas scheint Unglaube den Ungehorsam gegenüber dem richtigen Glauben zu meinen.

Der Jünger Thomas beharrt auf seinem Nichtwissen als Zweifel, ob die anderen Jünger den auferstandenen Jesus gesehen haben, bevor er nicht dessen Wunden an den Händen und an der Seite selber sehen würde. Als er acht Tage später Jesus begegnet, fordert ihn dieser zuerst zum Gehorsam im Glauben auf: «Sei nicht ungläubig, sondern gläubig!» Danach fügt er bei: «Weil du mich gesehen hast, Thomas, glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!» (Joh. 20, 24ff.)

Der Glaube des Thomas wird also als nichtseligmachender diskreditiert, weil er erst glaubt, als er das Unmögliche – den auferstandenen Toten – im Modus des Wissens wahrgenommen hat. Der ungläubige Thomas glaubt erst, als er weiss, was er glaubt. Das aber, sagt sein «Herr», genügt nicht. Seligmachender Glaube ist erst jener, der jede Brücke zum Wissen abgebrochen hat. Erst, wenn der Glaube hermetisch abgeschlossen ist von jedem Anspruch, wissen zu wollen, kann er als Glaube selig machen.

(20.1.2009; 31.01.2018)

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