Mimesis ist fundamental

1.

Die journalistische These: Mimesis ist «die Interpretation des Wirklichen durch literarische Darstellung oder ‘Nachahmung’», also die mit Sprache «dargestellte Wirklichkeit»[1]. Mimesis steht für die Tatsache, dass niemand über etwas reden kann, das die Immanenz der dinglichen Welt «wirklich» überschreitet. Die Behauptung, diese Überschreitung mit dem Wortgeklingel von dunklen Abstrakta zu leisten, ist die ideologische Scharlatanerie, die religiöse Dogmen und politische Programmatiken gleichermassen zu Anleitungen für den Massenmord machen kann.

Mimesis ist fundamental. Darum ist es nicht möglich – wie es die avancierte Spracharbeit der Moderne für sich in Anspruch nahm – innerhalb der Immanenz der Welt nicht-mimetische Werke zu schaffen: Sprache meint, seit sie entstanden ist, nichts als die Welt. Darum bildet, wer die Sprache braucht, stets Welt ab. Sprache verändert sich immerzu, aber stets genau insofern, als sich die Welt verändert.

2.

Die belletristische These: «Die der literarischen Schöpfung zugrunde liegende Wirklichkeit ist in erster Reihe die der Dichter selbst, d. h. seine Vergangenheit und seine Gegenwart, sein Bewusstsein und seine Unbewusstheit, sein Wissen und sein Gewissen. Der Prozess des künstlerischen Schaffens vollzieht sich in einer unablässigen Pendelbewegung zwischen einer Subjektivität, die stürmisch zur Selbstüberwindung, zur Objektivierung drängt, und einer Objektivität, die der Subjektivierung nicht entrinnen kann.» (Manès Sperber[2])

[1] Erich Auerbach: Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur. Tübingen und Basel (Francke Verlag) 2001/10 [1946], S. 515.

[2] Manès Sperber: Die Wirklichkeit in der Literatur des 20. Jahrhunderts. München (Nymphenburger) 1983, S. 51f.

(16/25.12.2012; 10.+15.01.; 16.07.2018)

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