Der Zufallsgenerator

Die zwölf Texte des ersten Mäanders sind hochgeladen und im Rohbau fertig (Nachträge behalte ich mir bis ans Ende meines Lebens vor). Das war eine einfache Arbeit, weil ich an der Montage dieser Texte bereits gearbeitet habe, bevor ich das Projekt 2009 weglegte.

Ein Problem ist mir nun klar geworden: Werden die Texte innerhalb der Mäander als aufklickbare Liste angeordnet, ist bei der Rezeption für buch-lesegewohntes Publikum die Versuchung gross, sie in der vorgegebenen Reihenfolge aufzuklicken und so – Menschen sind Gewohnheitstiere – dem Linearitätsdiktat des Buchs freiwillig weiterhin zu gehorchen.

Im Finanzierungsgesuch habe ich zwar bloss geschrieben: «Präsentation und gute Lesbarkeit [der Texte] im Netz sind Probleme, die ich lösen will.» Für mich ist aber schon länger klar, dass zur Präsentation im Netz auch der Versuch gehören muss, die grundsätzlich lineare Textanordnung des Buchdrucks zu durchbrechen in Richtung einer «flächigen» Anordnung, was auch der Mäander-Charakterisierung im Vorsatz entspricht: «Erkennbar ist darin in einer ungefähr bestimmten Landschaft eine allgemeine Fliessrichtung des Wortstroms, kanalisiert ist er nirgends.»

Aber was könnte «flächige Anordnung» heissen? Dies: Wo immer ich lesend im Konvolut der vielen Werkstücke angekommen bin, will ich mich auf einer scheinhaft aufgespannten Fläche sehen und in verschiedene Richtungen weitergehen können.

Wie diese Idee einlösen? So: Es braucht einen Zufallsgenerator. Unter jedem Werkstück folgt auf einer neuen, interaktiven Zeile gleichlautend: «Zu einem nächsten Werkstück». Wer darauf klickt, dem öffnet sich nach dem Zufallsprinzip irgendeines der anderen, schliesslich über dreihundert Werkstücke des Stückwerks.

Jede Lektüre gerät so laut Wahrscheinlichkeitsrechnung spätestens nach dem zweiten, dritten Klick zu einer individuellen. Zwar verändern sich nicht die Texte, aber die Montage ihrer Reihenfolge und damit die intertextuellen Bezüge. Auch ich würde mich mit Interesse ab und zu vom Zufall geleitet durch die Texte klicken und – wer weiss – mit ärgerlichen oder erfreulichen Entdeckungen konfrontiert werden.

Fragt sich vorderhand, ob das Problem technisch lösbar ist.

Am Telefon hört Webmaster Peter Schmocker in Interlaken mein Anliegen an und sagt, er überlege. Am nächsten Morgen läuft eine Probeversion. Die Idee scheint also umsetzbar, und für die optimale Realisierung können wir uns Zeit nehmen: Wo soll das Instrument platziert werden – tatsächlich unter jedem Werkstück oder nur einmal in der linken Spalte? Wie soll es heissen? Werkstück-Drehscheibe? Werkstück-Mixer? Werkstück-Generator? Oder eben doch: «Zu einem nächsten Werkstück»?

Natürlich ist die Anwendung des Instruments im Moment, wo erst ein Dutzend Texte hochgeladen sind, noch nicht sehr spannend – zu schnell wird ein Text zum zweiten Mal angezeigt. Aber bei mehr als dreihundert Texten wird das schliesslich ein kleines Problem sein.

(09.08.2017)

 

Nachtrag 1

Innert einer Woche hat der Webmaster eine ausgefeilte Lösung für das Problem gefunden: Am Anfang und am Schluss jedes Werkstücks wird ein horizontaler Balken eingefügt – diskret farblos am Anfang, hellrot am Schluss. Beide Balken weisen links bündig zwei interaktive Pfeile auf, einer der nach links («Rückwärts») und einer der nach rechts («Vorwärts») weist. Rechts bündig findet man interaktiv «Zu irgendeinem Werkstück» (Vorschlag von Liliane Rihs, weil die Wendung «Zu einem nächsten Werkstück» sich tatsächlich nicht prägnant vom «Vorwärts»-Pfeil unterscheidet).

Der Grund für den doppelten Balken ist der: Falls ein Werkstück geöffnet wird, das man bereits kennt oder das einen nicht interessiert, kann man sofort weiterklicken. Am Schluss braucht es den Navigationsbalken dann auf jeden Fall, wenn man flink zu einem nächsten Werkstück kommen will.

(15.08.2017)

 

Nachtrag 2

Nun ja, was hat’s gebracht? Kann man nicht auch in einem Buch vorwärts oder rückwärts blättern respektive es irgendwo aufschlagen und zu lesen beginnen? Ja, das kann man. Allerdings tut man es gewöhnlich nicht, weil Bücher von der Autorschaft in aller Regel linear von vorn nach hinten gedacht worden sind. Wer dem Gedanken folgen will, muss dieser Linearität folgen.

Ein besonderer Reiz des Zufallsgenerators ist, dass man vom neu sich öffnenden Text nicht wissen kann, ob er sich laut meiner Anordnung weiter vorn oder weiter hinten in der Mäander-Sammlung befindet. Deshalb dient die Funktion «Zu irgendeinem Werkstück» tatsächlich dazu, sich auf einer Textfläche hin und her bewegen zu können, ohne wissen zu müssen, wo man sich gerade befindet.

{20.08.2017)

v11.5