Der Traum vom 14./15. März 1996

Der Traum hatte drei Teile: Zuerst befinde ich mich in einer Gruppe von Leuten, darunter der ehemalige WoZ-Redaktor ck, die auf Kleinbasler Seite im Rhein badet. Abwärts treibend konzentriere ich mich darauf, zwischen den gefährlichen Pfeilern der Mittleren Brücke hindurchzukommen, was gelingt. Ich werde aber weit auf die Grossbasler Seite abgetrieben und schwimme nun mitten im Fluss. Die Strömung ist stark; während mir ein neben mir schwimmendes Kind die schnellere Rückkehr an das Kleinbasler Ufer verunmöglicht, zieht bereits die offene Landschaft an mir vorüber. Schliesslich erreiche ich das Ufer doch und beginne auf einem schmalen Weg locker in die Stadt zurück zu joggen. Bald erreiche ich bebautes Gebiet und ich scheine – beruhigend – bereits in die Gegend des Unteren Rheinwegs gekommen zu sein.

Schnitt.

Übergangslos treibe ich, in der Nähe des Grossbasler Ufers, erneut im Rhein. In meiner Nähe schwimmt diesmal der Gerant der Pizzeria Ecke Luisenstrasse/Josefstrasse, in der ich in Zürich gewöhnlich zu Mittag esse. Mit Leichtigkeit schafft er es, ans Ufer zu kommen, steht schon in voller Kleidung und mit dem Natel telefonierend zwischen den Sträuchern und winkt mir zu. Ich werde abgetrieben und schleudere mit aller Kraft einen Gegenstand – möglicherweise die Pfanne, mit der ich gewöhnlich Wasser warm mache – ans Ufer, um ihn zu retten. Ich treibe dann, immer hart am Grossbasler Ufer, flussabwärts. Als ich das Ufer endlich erreiche und mich festzuhalten versuche, besteht es aus nichts als einer kaum über den Wasserspiegel reichenden Betonmauer; dahinter, hart andrängend, ein weiterer unabsehbarer Wasserstrom. Ich begreife, dass es hier gefährlich ist, löse mit grosser Anstrengung die Hände von der Betonmauer und versuche in Richtung Kleinbasler Ufer in den Rhein zurück zu schwimmen. Nach einigen Zügen werde ich von Wirbeln nach unten gezogen.

Schnitt.

Ich spaziere mit H. auf Grossbasler Seite etwas unterhalb der Mittleren Brücke dem Rhein entlang flussaufwärts. Unsere Auseinandersetzung geht darum, ob ich nicht den WoZ-Leuten klaren Wein einschenken und ihnen sagen müsse, aufgrund meiner Ängste sei es mir nicht möglich, weiter Journalismus zu machen. Das Verblüffende: Die Diskussion setzt eine Analyse der zwei vorangegangenen Traumsequenzen voraus, die uns beiden in dieser dritten Sequenz klar ist. Sie lautet: Ein erstes Mal ist es mir gelungen, im grundsätzlich feindlichen Element des Journalismus, wenn auch weit abgetrieben, mich wieder auf festen Boden zu retten und ins Vertraute zurückzukehren. In der Tat habe ich mich seit dem Beginn des Projekts NONkONFORM 1992 als Journalist stark zurückgezogen und verdiene mein Geld vor allem mit redaktioneller Arbeit. Zurzeit aber arbeite ich nun wieder an verschiedenen Projekten (ein Paul Sacher-Porträt, die Geschichte von Alois Mehr, eine Fabrikreportage für den Smuv[1]), die mich weit ins Gewässer des Journalismus hinaus zu treiben drohen. Innerhalb dieser dritten Traumsequenz bewusst ist mir für einen Augenblick, dass mein Absaufen in der zweiten Sequenz auch Meienbergs Schicksal symbolisiert. Obwohl ich H., die für Offenheit gegenüber der WoZ plädiert, mit dem Argument zu widerlegen versuche, sie würde auch nicht nach so vielen Jahren in der Spitex vor ihre Kolleginnen treten und sagen, sie könne diesen Beruf nicht ausüben, weiss ich im Traum, dass sie Recht hat.

An dieser Stelle erwache ich und liege längere Zeit wach (es ist 4.30 Uhr). Ich beginne, den Traum zu memorieren, um ihn aufschrieben zu können, weil ich weiss, dass er wichtig ist. Durch den Kopf geht mir nun, dass möglicherweise meine Vorarbeiten zum Sacher-Porträt das Trauma meiner Basler Zeit aktiviert hat und dass sich auf jener Rheinstrecke (Basel abwärts), auf der ich – übrigens ohne beengende Angstgefühle – in der zweiten Sequenz versinke, 1982 Rösi Soussy-Stalder umgebracht hat (ihre Leiche wurde im Rechen des Kraftwerks Kembs [F] gefunden). Identifiziert wurde die Leiche, nachdem ich damals in der «Basler Zeitung» zufälligerweise einen Hinweis mit ihrer Beschreibung gelesen hatte und daraufhin die Basler Polizei telefonisch über meine Vermutung informierte, nebst anderem könnte es sich wegen einer erwähnten auffälligen Zahnlücke um meine Redaktionskollegin bei der Zeitung «Drahtzieher» handeln.[2]

[1] Der Text über Paul Sacher, «Der Jahrhundertmäzen», erschien zu dessen 90. Geburtstag Ende April 1996 in der WoZ; das Porträt über Alois Mehr in WoZ 20/96; die «Fabrikreportage» wurde schliesslich zum Porträt eines Mannes, der einen Hirnschlag erlitten hatte. Die Reportage erschien unter dem Titel «Druck im Kessel und kein Ventil»,  in: Thomas Göttin / Christoph Keller / / Jean-Claude Reinwald / Jean Steinauer [Hrsg.]: Schichtwechsel. Ein Tag in der Arbeitswelt der Schweiz. Zürich (Rotpunktverlag) 1996.

[2] «Auffallend grosse Lücke von 4 bis 5 Millimetern zwischen den oberen Schneidezähnen.» («Leiche aus dem Rhein geborgen», in: Basler Zeitung, 12.08.1982)

(15.03.1996; 08.09.2005; 16., 30.05.+11.06.2018)

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