Barbara Thornton

22. November 1998, Sonntag. Ich mache Abendessen und höre dazu Radio DRS 2. Nach den Nachrichten, zu Beginn des Abendprogramms, verliest der Moderator einen kleinen Nachruf: Am 8. November sei in Köln, erst 48jährig, die Sängerin Barbara Thornton an einem Gehirntumor gestorben. In einer kleinen Sequenz höre ich sie Musik von Hildegard von Bingen interpretieren, mit der sie sich seit 1981 intensiv auseinandergesetzt habe. Danach folgt ein Ausschnitt aus einem Interview, das sie noch im Frühjahr gegeben hat.

Ihre Stimme, als sie selbstironisch und mit ihrem nach wie vor unverändert starken US-amerikanischen Akzent erzählt, wie sie sich in Zürich habe zur Opernsängerin ausbilden lassen wollen und wie sie dabei gescheitert sei. Mag sein, dass sie auch mir seinerzeit diese Episode erzählt hat, im Herbst 1975 oder in der folgenden Zeit, als sie mir in einem der kleinen Übungsräume an der Scola cantorum in Basel das Singen beizubringen versucht hat. Eine schwierige Sache für uns beide: Ich wollte nicht singen lernen und sie – ich glaube, schon damals mit ihrem Partner Benjamin Bagby – steckte voller Enthusiasmus in der Erforschung mittelalterlicher Musik, unterrichtet hat sie lediglich zum Geldverdienen. 1977, also während unserer gemeinsamen Scola-Zeit, hat sie, wie ich jetzt aus dem Radio (wieder)erfahre, zusammen mit Bagby das Ensemble «Sequentia» gegründet.

Längst läuft im Radio wieder irgendwelche Musik, ein Klaviertrio. Ich schneide Cucunci – Kapernfrüchte, die wir aus Salina mitgebracht haben – in schmale Scheiben, mische sie mit Pelati und mit in Streifen geschnittenen schwarzen Oliven und würze das Ganze mit Pfeffer aus der Mühle. Während die Spaghetti kochen sehe ich die junge Frau vor mir, in meiner Erinnerung trägt sie eine starke Hornbrille, und ihr grosser volllippiger Mund lacht laut und kehlig. Manchmal müssen diese Singstunden, scheint mir jetzt, für uns beide ganz vergnüglich gewesen sein.

(23.11., 26.12.1998; 15.+29.05.2018)

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