Die grossen Dampfwalzen

Der Befreiungstheologe Franz J. Hinkelammert aktualisiert das, was ich als Gegensatz von existentiellem und sozialem Sprachuniversum verstehe, zu einem realen Antagonismus zwischen der «alles totalisierenden Macht» des globalisierten Marktes und dem Projekt einer «Ethik des Gemeinwohls»: «Indem sich die Warenbeziehungen totalisieren, entstehen Störungen der Lebensmöglichkeiten von Mensch und Natur, die dieses Leben selbst gefährden. Diese Bedrohung erfahren wir. Wir erleben den Sachverhalt: Der Mensch ist ein Naturwesen, das notwendige Bedürfnisse hat, welche nicht als Konsumneigungen erfasst werden können. Die Befriedigung notwendiger Bedürfnisse ist eine Bedingung, die über Leben und Tod entscheidet. Die sich totalisierenden Warenbeziehungen jedoch können nicht zwischen Leben und Tod entscheiden. Sie werden zu grossen Dampfwalzen und zerstören jedes Leben, das sich auf dem Weg befindet, den sie wählen. Sie gehen über alles menschliche und kreatürliche Leben hinweg, ohne jedes Kriterium der Unterscheidung. Nur derjenige kann sich retten, der es fertig bringt, sich ausserhalb der Fahrbahn dieser Dampfwalzen aufzuhalten.»[1]

In dieser Sichtweise ist der soziale Diskurs dabei, den existentiellen endgültig zu überwältigen. Was sich dem Totalitarismus des Sozialen nicht unterzieht – das heisst: nicht sich marktkonform verhält, also arbeitet, verdient und konsumiert –, wird vernichtet. Anders: Der soziale Diskurs ist marktvermittelt daran, zum brachialen Belldiskurs zu regredieren, der den Warum?-Diskurs zum Schweigen bringt. Was damals Stammesführer und Krieger waren, sind heute die Wirtschaftsführer und Manager.

Die These, dass der soziale Diskurs der milesischen Aufklärung eine Emanzipationsbewegung gegen die totalisierte Macht der Priester und Schamanen gewesen sei, kann hier durch eine zweite ergänzt werden: Hinkelammerts Diskurs einer existentiellen Aufklärung ist als emanzipativer Impuls zu lesen gegen die totalisierte Macht der modernen Stammesführer und Krieger. Allgemein: Totalisiert sich der eine oder andere Diskurs, so radikalisieren sich die gesellschaftlichen Verhältnisse ins Unmenschliche für all jene, die nicht diskurs-, und das heisst systemkonform funktionieren können oder wollen. Der emanzipative Impuls weist dann jeweils in die Richtung des unterdrückten Diskurses.

Daraus lässt sich schliessen, dass hier und heute der existentielle Diskurs gestärkt werden muss. Meine Frage muss demnach lauten, wie das möglich ist, ohne in die Gefilde irrationalen Schwurbels zu geraten, die sich hinter der Frage nach dem Warum öffnen.

[1] Franz J. Hinkelammert: Der Schrei des Subjekts. Vom Welttheater des Johannesevangeliums zu den Hundejahren der Globalisierung. Luzern, Edition Exodus, 2001, S. 375.

(05./13.05.2005; 09., 17.+24.04.2018)

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