Unhörbares Lied

Ferruccio Rossi-Landi sagt: «Wenn [der Sprechende] nicht sprechen lernt oder eine persönlich abgewandelte Sprache spricht, wird er in der Tat nicht mehr verstanden und kann sich nicht mehr verständlich machen. Es ist dies der sprachliche oder kommunikative Tod. […] Zumindest als Möglichkeit steht er vor jedem, der radikal neue sprachliche Wege zu gehen versucht.»[1]

Aus der Sicht des in seiner Privatsprache zersplitternden monadischen Bewusstseins sieht die Tatsache des kommunikativen Todes so aus: Privatsprache suggeriert einerseits stets, recht zu haben und bedeutet andererseits stets nichts, Privatsprache hat keinen feststehenden Sinn. Sinn gewönne sie erst, wenn sie in einem sozialen Zusammenhang auftauchen würde.

Als Privatsprache ist Sprache das eigene Lied auf die Welt, gesungen im luftleeren Raum. Der Sinn des Unhörbaren bleibt unentschieden.

[1] Ferruccio Rossi-Landi: Sprache als Arbeit und als Markt. München (Carl Hanser Verlag), 1974, S. 101.

(15.05.1989, 07.07.1997; 19.03.+03.04.2018)

 

Nachtrag

Ausgegangen bin ich bei meinen Überlegungen vor bald zwanzig Jahren von der Frage, wie im Bereich des Lyrischen das Eigene in der Sprache möglich wäre respektive vom Paradox, dass auch dort, im subjektivsten aller Zugänge zur Sprache das Eigene gar nicht möglich sei (siehe hier, S. 190). Denn in dem Mass, in dem die Sprache «eigen» ist, wird sie zur Privatsprache (darum sind Texte von eigenwilligen Stilistinnen und Stilisten zumeist schwer verständlich und mehrdeutiger, als sie gemeint sein mögen).

Jonas Pfister kommt in seinem Philosophie-Lehrbuch auf Ludwig Wittgenstein und das, was er dessen «Anti-Privatsprachenargument» nennt, zu sprechen. In einer längeren Passage seiner «Philosophischen Untersuchungen» führe Wittgenstein aus, warum «Ausdrücke für geistige Phänomene […] auf Verhaltensdispositionen zurückgeführt werden [müssten], um verständlich zu sein.»[1] Dabei gehe Wittgenstein in seiner Darstellung von der Empfindung des eigenen Schmerzes aus – eines höchstpersönlichen, inneren Erlebnisses also. Will ich über meinen Schmerz reden, so gilt: «Die Wörter dieser Sprache sollen sich auf das beziehen, wovon nur der Sprechende wissen kann; auf seine unmittelbaren, privaten Empfindungen. Ein Anderer kann diese Sprache also nicht verstehen.»[2] In dieser Art sprechen zu wollen – das Reden über den eigenen Schmerz ist dem lyrischen Reden ja sehr oft nicht fremd –, ist der Versuch, «etwas zu sagen, das keine Mitteilung ist.»[3] Diese Rede scheitert als Kommunikation: «Wenn man sich den Schmerz des Andern nach dem Vorbild des eigenen vorstellen muss, dann ist das keine so leichte Sache: da ich mir nach den Schmerzen, die ich fühle, Schmerzen vorstellen soll, die ich nicht fühle. […] Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich an einer Stelle seines Körpers Schmerz empfinde.»[4]

An diesem Argument scheitert noch nicht die lyrische Rede, aber die Idee, es könne ein anderes lyrisches Reden geben als das hermetische, wenn es im Ernst anderes sein will als mehrdeutig schwurbelnde Kommunikation.

[1] Jonas Pfister: Philosophie. Ein Lehrbuch. Stuttgart (Reclam) 2007, S. 136, Fussnote 12.

[2] Ludwig Wittgenstein: Werkausgabe Band 1: Philosophische Untersuchungen. Frankfurt am Main (Suhrkamp) 1984, S. 356.

[3] Wittgenstein, a.a.O., S. 375.

[4] Wittgenstein, a.a.O., S. 376 (Hervorhebungen Wittgenstein).

(25.12.2007; 19.+26.03.2018)

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