Jahrmarktsplanung

Was ich erst jetzt begreife, da sich die Kulturschaffenden aller Sparten auf die Staatsfeier von 1998 vorzubereiten beginnen (200 Jahre Helvetik, 150 Jahre Bundesstaat): Viele, die 1990 den Kulturboykott gegen die 700-Jahr-Feier unterstützt haben, sahen ihn wohl nicht zuletzt als Boykott des riesigen Kunstmarkts, den diese 600 Veranstaltungen auch waren. Auf diesem Jahrmarkt, dachten sie, will ich meine Ware nicht feilbieten, das würde meine Klientel nicht verstehen und deshalb mein Image schädigen. Es werden attraktivere Jahrmärkte folgen.

Ich war naiv, wenn ich davon ausging, es sei das Gebot eines integren kulturpolitischen Selbstverständnisses, dass man von vornherein abseits stehe, wenn ein Staat sich anschickt, sich selbst zu feiern.

(21.12.1995; 12.03.2018)

 

Nachtrag

Wobei dieses «integre kulturpolitische Selbstverständnis» nicht als grundsätzlicher politischer Absentismus gedeutet werden darf. Die Aufgabe von Kulturschaffenden ist es aus meiner Sicht sehr wohl, wenn immer möglich nach Massgabe der eigenen Überzeugung politische Prozesse mitbeeinflussen zu wollen. Kulturschaffende müssen jedoch dann beiseite stehen, wenn der Status quo zementiert werden soll (was jede Staatsfeier von vornherein tut: Was soll denn der Staat anderes feiern als seine Existenz, so wie sie sich im Moment präsentiert?).

Dem Status quo sollen sich Kulturschaffende nicht andienen, weil dieser stets gesellschaftliche VerliererInnen zu verantworten hat. Darum ist jede Stellungnahme für den staatlichen Status quo eine Stellungnahme gegen diese VerliererInnen. Klar: Kulturschaffende haben sich in der Geschichte immer wieder dazu hergegeben, für den Status quo hinzustehen: etwa um Schlimmeres zu verhindern; als Votum gegen die VerliererInnen von heute, weil sie die UnterdrückerInnen von gestern waren; zum Selbstschutz: um der Zensur, dem Verstummen oder gar dem Exil, dem Arbeitslager, dem Tod zu entgehen.

Die Gründe von Kulturschaffenden, den Status Quo zu vertreten, sind also nicht von vornherein unehrenhaft – sie können notwendig sein, um weitermachen zu können. Bloss verwandelt sich die Arbeit, die im Rahmen dieses Status quo produziert wird, unweigerlich und unbestreitbar in Staatspropaganda. Solches Kulturschaffen wird zwar Teil der politischen Kultur eines Landes, aber kaum bedeutende Kunst. Was die Schweiz betrifft, ist es für Kulturschaffende seit dem Zweiten Weltkrieg nie anders als ein bisschen schäbig gewesen, für den jeweiligen Status quo einzustehen, weil das Abseitsstehen kaum je die Möglichkeit des Weitermachens in Frage gestellt hätte.

(24.10.2005; 12.,14.+15.03.2018)

v11.5