Der Schein der Zweiwegkommunikation

«Das Medium ist die Botschaft.» Marshall Mc Luhans geflügeltes Wort heisst für mich, Ideologieproduktion und -distribution hätten sich von den Inhalten auf die Formen und Kanäle verschoben.[1] Zum Beispiel: Das Fernsehen ist die Botschaft. Heisst: Das Fernsehen hat umfassenden Zugriff auf Bewusstsein und Verhalten (= Nichthandeln) der RezipientInnen[2] und signalisiert durch seine regressive Bedeutung des elektronischen Lagerfeuers im «globalen Dorf» (Mc Luhan) die Simulation von Zweiwegkommunikation. (Es gibt alte Leute – so berichtet H. von ihrer Arbeit in der Gemeindekrankenpflege – die ziehen, bevor sie den Fernseher einschalten, jeweils die besseren Kleider an, weil man sich ja dem perfekt gekleideten Gegenüber nicht im Pijama zeigen könne.)

Diese Simulation ist aber nichts anderes als das Schmiermittel der herrschenden Demokratie. Anders: Fernsehen und herrschende Demokratie sind genau das am wenigsten, was sie in der ideologischen Verkehrung am meisten scheinen: Zweiwegkommunikation.

[1] Ablesbar ist diese Verschiebung etwa an den über 600 Veranstaltungen im Programm der 700-Jahr-Feier 1991: Mit dem besten Willen ist aus dem Programmheft keine inhaltlich stringente Ideologiekonzeption ablesbar. Daraus jedoch allein auf Desorientierung oder Perspektivelosigkeit der Herrschaft zu schliessen, ist vermutlich ein Irrtum. Auch für diese 700-Jahr-Feier gilt jenseits der konkreten Inhalte: Das Medium (im Sinn von: der Rahmen der offziellen Feierlichkeiten) ist die Botschaft. Vielleicht ist das die postmoderne Form der Ideologiebildung. Zu beobachten ist auf jeden Fall: Das Engagement an einem bestimmten Inhalt wird zusehens obsolet. (02.01.1991)

Variante: Obschon die Veranstaltungen der 700-Jahr-Feier alle für sich genommen je einen Inhalt haben, ergibt doch die Summe aller Inhalte nicht eine nachvollziehbare Konzeption; ihre Summe ist ein inhaltliches Nullsummenspiel, ein kognitives Rauschen. Wenn das aber so ist, lässt sich sagen, dass – abgesehen von den dispersen Inhalten im einzelnen – im gesamten der Inhalt nicht gemeint sein kann. 200 Millionen Franken werden von staatlicher Seite (von Bund, Kantonen und Gemeinden) investiert zur Ideologiebildung ohne Anspruch, inhaltliche Schwerpunkte zu setzen. Daraus ergibt sich die Vermutung, dass bei der 700-Jahr-Feier Ideologiebildung nicht über Inhalte erfolgt, sondern über den Rahmen: Der Rahmen ist die Botschaft. Darum ist im «Aufruf zum Schweigen» die Aussage richtig: «Noch das ehrlichste Bemühen um Kunst ist im Rahmen von ‘CH 700’ reine Ideologie.» Und zwar, was offenbar für viele Kunstschaffende schwer einsehbar ist, völlig unabhängig vom gestalteten Inhalt. (10.01.1991)

[2] Deshalb sind paradoxerweise gerade «kritische» Fernsehsendungen am meisten ideologiebildend: Sie verschleiern die Materie gewordene repressive Toleranz des Mediums mit «Aufklärung». Diese «Aufklärung» bleibt folgenlos, der Fernsehkonsum jedoch nicht: Er verhindert aktiv das Handeln, zu dem die «Aufklärung» aufzufordern scheint.

(02./10.01.1991, 22.12.1997; 12.03.2018)

 

Nachtrag 1

In den neunziger Jahren hat es sich eingebürgert, in Anlehnung an die politische Diskussionssendung «Arena» von Fernsehen DRS von der «Arenisierung der Politik» zu sprechen. Wer in der Politik eine führende Rolle spielen will – etwa ParteipräsidentInnen –, müssen «arenatauglich» sein. Fernsehtauglichkeit[1] und Politiktauglichkeit bedeuten immer mehr etwas weitgehend Gleiches, weil es um die Inszenierung des gleichen Verblendungszusammenhangs geht: um den Schein diskursiv hergestellter Methoden zur Weltveränderung, die, um wirklichen Widerspruch auszuschliessen, als strikte Einwegkommunikation funktionieren.

[1] Was ich damals nicht im Blick hatte: In Fernsehtalkshows werden unterdessen nicht nur die eingeladenen Gäste, sondern auch die Claqueure – also das Livepublikum im Studio – auf Fernsehtauglichkeit hin geprüft. In deutschen Medien wird das Thema zurzeit unter dem Stichwort «gecastetes Publikum» rege diskutiert. Im Zusammenhang mit dem Werkstück verstärkt diese Tatsache das Argument von der Scheinhaftigkeit der Zweiwegkommunikation.

(22.02.1998; 12.+15.03.2018)

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