Legitimität und Grössenwahn

«Was ist denn ein Papst […] anderes als jemand, der sich für einen Papst […] hält?», fragt Pierre Bourdieu.[1] Man könnte auch fragen: Wenn es zwei Männer gibt, die sich für den Papst halten, der eine im Vatikan lebt, der andere jedoch in einer Klinik: Welcher von beiden leidet dann mit grösserer Wahrscheinlichkeit an Grössenwahn?

Was den richtigeren Papst von einem «Komödiendarsteller oder Megalomanen» unterscheide, antwortet Bourdieu, sei einzig, dass man ersteren in der Regel ernst nehme, indem man ihm das Recht zu «legitimem Betrug» zugestehe.

Bourdieu argumentiert übrigens nicht gegen den Katholizismus – er zählt in dem Interview «Politischer Fetischismus», aus dem ich zitiere – neben dem Papst auch Präsidenten und Generalsekretäre auf, die auf das Recht zum legitimen Betrug angewiesen seien. Es geht ihm um «Probleme der Macht und der Herrschaft». Vermutlich ist das ein politisch zentraler Aspekt an allen multinationalen Metaphysik-Verwaltungen.

[1] Pierre Bourdieu: Satz und Gegensatz, Über die Verantwortung des Intellektuellen, Berlin (Wagenbach) 1989, S. 45.

(11.03.1990, 26.09.1997; 23.01.2018)

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