Unversöhntes und versöhntes Denken

Es gibt ein Denken, das von der unhintergehbaren Unversöhntkeit der Einzigartigkeit von Einzelnem und der Welt als Ganzer ausgeht. Und es gibt ein Denken, das die Versöhnung sucht. Dieses Denken gibt gleichzeitig das Subjekt und die Welt auf. Es besteht darin, das Einzige des Einzelnen und das Ganze der Welt im Ungefähren einzumitten.

Die Reduktion dieses Widerspruchs im Denken durch Versöhnung verhindert die Möglichkeiten des Denkens überhaupt. Versöhntes Denken hat eine Schnittmenge mit Glauben. Bei konstanter Wortwahl denkt man sich das, was mit dem konkreten Begriff bezeichnet wird, tendenziell nicht als Einzelnes in einem unbekannten Fremden, sondern als Detail im bekannten Allgemeinen. Kommt der Glaube ins Spiel, wird dieses Allgemeine zur Schöpfung eines Gottes stilisiert, die abgesehen von Einzelnem als Ganzes zu ehren ist.

Denken aber ist das in jedem Augenblick Äusserste an Auseinandersetzung mit dem Einzelnen im Fremden. Dieses Fremde muss schon deshalb unbekannt bleiben, weil es nicht im Fokus ist und also unbedacht bleibt. Denken kann sich nur in der Konkretheit des fokussierten Fragments bewähren. Denken kann nur, wer nicht verdrängt, dass das Ganze nicht zu denken, sondern höchstens zu glauben ist.

(24.12.1989, 23.09.1997; 23.+29.01.2018)

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