Warum Kunstwerke affirmativ sind

Kunstförmig verfestigte Äusserungen der Kultur assoziieren sich wegen ihrer Warenförmigkeit zwangsläufig mit den herrschenden Verhältnissen. Die Verfestigung zum «Werk» macht sie hoffnungslos affirmativ. Das Kunstwerk wird im Strom der Affirmation mitgerissen, egal ob es die Person, die es erschaffen hat, mit oder gegen oder quer zu diesem Strom schwimmen lassen möchte.

(04.03.1996; 15.11.2017)

 

Nachtrag 1

Der erste und der letzte Zweck marktkonformer Kunst, der ihrem affirmativen Charakter überhaupt noch reflektierbar ist, ist der, nicht oder nur zum Schein stattzufinden. Während das Thema der Ästhetik früher die Kunst als Schein von Welt war, ist es heute das Nichts als Schein von Kunst.

(1.1994; 22.05.+04.07.2018)

 

Nachtrag 2

Affirmation meint hier nicht das Gleiche wie der «affirmative Charakter», den Herbert Marcuse der Kultur attestiert hat. Er kritisiert die bürgerliche Kultur als «in ihren Grundzügen idealistisch»: «Auf die Not des isolierten Individuums antwortet sie mit der allgemeinen Menschlichkeit, auf das leibliche Elend mit der Schönheit der Seele, auf die äussere Knechtschaft mit der inneren Freiheit, auf den brutalen Egoismus mit dem Tugendreich der Pflicht.»[1] Nach Marcuse bejaht diese Kultur das Bestehende, weil sie den ehemals solidarischen Kampf um Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zum Kampf einzelner Subjekte um die Verwirklichung von Idealen macht.

Meine These hier lautet dagegen, dass sich die Affirmation des Kunstwerks ganz abgesehen vom Inhalt in dessen Warenförmigkeit einschreibt: Solange ein Kunstwerk durch seine Form die Markt- und Eigentumsordnung bejaht, kann es problemlos auf jede erdenkliche Art deren Revolutionierung verkünden. Diese Art Liberalität des Markts ist ein Aspekt, der in einem anderen Schlüsselbegriff Marcuses mitschwingt: in der «repressiven Toleranz».

 [1] Herbert Marcuse: Über den affirmativen Charakter der Kultur, in ders.: Schriften Band 3. Springe (zu Klampen Verlag) 2004, S. 195. – Vergleiche zu Marcuses Essay auch den Nachtrag 2 zum Werkstück «Kreditanstalt präsentiert Marc Chagall».

(12.12.2005; 16.+21.11.2017)

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