Der kleinbürgerliche Namedropper

Ich habe heute eine Rezension über Didier Eribons neues Buch «Gesellschaft als Urteil» gelesen (Bund, 21.10.2017, zuerst veröffentlicht in der Süddeutschen Zeitung, 10.10.2017). Darin sagt der Autor Oliver Nachtwey, dass Eribons Übervater Pierre Bourdieu seinen sozialen Aufstieg «mit einem sehr distinktiven Stil verbunden»[1] habe, «ein häufig anzutreffendes Merkmal derjenigen, für die kulturelle Elite keine Selbstverständlichkeit ist».

Ich weiss, dass mich Formulierungen betreffen, die davon handeln, dass man einen «Aufsteiger» in diese kulturelle Elite «auch als ‘sozialen Überläufer’ bezeichnen kann».[2] In der Monatskolumne «Was steht am Ende der Aufklärung?» habe ich geschrieben, weil ich im Gegensatz zu Leuten wie Eribon den Anschluss an die «Areale der Gelehrtheit» nicht geschafft hätte, sei ich zum «reflexiv abgefederte[n] Ressentimentträger gegenüber jedem sich links dünkenden akademischen Dünkel» geworden.

Bei der Arbeit an den «Werkstücken» des Mäanders «Saurierknochen mit Kometenschweif» ist mir nun immer wieder bewusst geworden, «dass ich als Nichtakademiker meinen beruflichen Weg mit zu schwachem Selbstbewusstsein zu nahe an akademisch Geschulten gegangen bin» (Koordinatensysteme der Kulturbetrachtung, Nachtrag 2). Beim Redigieren hat mich an den damaligen Texten zunehmend gestört, dass ich sie «mit einem sehr distinktiven Stil» bedeutender zu machen versucht habe. Ich tat dies unter anderem mittels Namedropping, das ich in einem Werkstück ziemlich hämisch auf «den Kunstbetrieb» projiziert habe.

Mehr als einmal habe ich mich in den letzten Tagen gefragt: Hatte ich das wirklich nötig? Und jedes Mal musste ich antworten: Ja, offensichtlich. – Und warum? – Weil ich das Leben eines «sozialen Überläufers» geführt habe, wurde ich vom Kleinbürger zum schriftstellernden Namedropper. – Wie peinlich! – Nein, bloss ein weiteres Beispiel für «den determinierenden Einfluss der sozialen Welt auf die Subjektkonstitution». (Eribon, wie [2], S. 16)

[1] So wörtlich in der Süddeutschen Zeitung, der Bund hat umredigiert in «mit einem gehobenen Stil».

[2] Didier Eribon: Rückkehr nach Reims. Berlin (Suhrkamp) 2016, S. 23.

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