Das Gender-Ich als Kultur

«Die Geschlechteridentität – einschliesslich des Körpers – ist nach [Judith] Butler keine Substanz, sondern eine Tätigkeit oder ein Werden im Sinn einer stetig wiederholten Handlung.» («ZeitSchrift», Nr. 3/1996, S. 207) Was für die Geschlechteridentität gilt, gilt für menschliche Identität überhaupt: Sie ist nicht biologisch determiniert, sondern Prozess. Alles was der Herausbildung von Identität dient, ist Kultur.

(29.08., 13.09.1996; 26.06.2018)

 

Nachtrag

Allerdings gilt für die Geschlechterfrage auch: Das Bemühen um Differenz und Identität wirkt als kultureller Prozess noch nicht politisch. Es braucht deshalb daneben das politische Bemühen um die Geschlechtergerechtigkeit. Deshalb kritisiert Frigga Haug: «Der Feminismus hat sein politisches Kleid gewechselt. Es gibt eine Akademisierung und Verfeinerung des Feminismus ohne Bezug zum Alltag und zur Politik.» Die Frauenfrage sei ersetzt worden durch die Genderdebatte, «als gäbe es keine Herrschaft und Hierarchie zwischen den Geschlechtern». (Widerspruch Nr. 50/2006. S. 95)

Und eben lese ich, wie die Philosophin Rebekka Reinhard und Thomas Vašek, Chefredaktor von «Hohe Luft», Geschlechteridentität und -gerechtigkeit zusammenzubringen versuchen. Unter dem Titel «Das ethische Geschlecht» fordern sie, «die alte Gender-Debatte [zu] begraben»: «Erst wenn männliche und weibliche Werte aufeinanderprallen, ohne dass es dabei um Macht und Unterwerfung ginge, kann die Geschlechterdifferenz ihre fruchtbare Wirkung entfalten – als Differenz zwischen Werten, nicht zwischen Männern und Frauen. Zwischen der ‘Kultur Mann’ und der ‘Kultur Frau’ gibt es wenig zu ‘vermitteln’. Was wir brauchen, das ist eine neue, eine ‘dritte Kultur’, welche die Differenzen nicht einebnet, sondern – um eines guten Lebens und gelingender Beziehungen willen – von eben diesen Differenzen lebt.» («Hohe Luft», 26.07.2017).

(25.09.2006; 20.10.2017)

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