Die Kunst des Namedroppings

Das Namedropping im Bezug auf kulturelle Phänomene ist das Sich-Spiegeln in Namen von Personen, Werken, in Stichworten zu Werkinhalten, Stilrichtungen, Szenen, Treffpunkten, Labels etc. Solches Namedropping ist ein Hauptcharakteristikum des Kunstbetriebs, also der Sphäre der Personen im Universum der Kultur. Namedropping ist Spielmarken-Rezeption, Rezeption auf einer Metaebene, auf der es um die flüchtige Zuordnung von kulturellen Phänomenen geht, die sich in aktuell angesagten Kunstwerken verfestigt haben.

Wer heutzutage in einer Smalltalk-Runde mitreden will, muss zunehmend auf derart grosser Breite belesen und bewandert sein, dass die Beschäftigung mit den Phänomenen, also die exakte Rezeption von Kunstwerken, nicht einmal in vollamtlicher Arbeit zu bewältigen wäre. Darum muss die Übersicht, die man nicht hat, simuliert werden. Zum Mitreden genügen ja tatsächlich einige Eckdaten zur Charakterisierung der Phänomene – schon nur deshalb, weil alle anderen im Normalfall auch nicht mehr abrufen können. Diese Eckdaten sich anzueignen ist zum Mitreden nötig, aber auch möglich – die Phänomene dagegen integral zur Kenntnis zu nehmen ist nicht nur unmöglich, sondern auch unnötig.

Beim Reden über Phänomene der Kunst findet also eine dauernde Reduktion ursprünglich kultureller Phänomene auf einige zuschreibende Reizwörter statt. Nötig sind Ein-Satz-Antworten auf Fragen wie: Hast du dies gehört, jenes gelesen, das gesehen? Und was hältst du von der oder dem? Wer keine kenntnisreich klingende Ein-Satz-Antwort parat hat, ist überführt und aus dem Spiel: In diesem Fall geht das Gespräch auf der anderen Seite des Tisches weiter.

Dieses Gesellschaftsspiel des Spielmarken-Palavers, das unter den Snobs an Vernissagen, Konzerten und Lesungen gepflegt wird, aber als oberflächlich kritisches Einordnungsritual auch aus vielen Medien schwappt, bereichert den Smalltalk bei jeder denkbaren geselligen Gelegenheit – ungefähr so wie die Wetterlage, die aktuellen Zivilstandsnachrichten aus dem Bekanntenkreis oder die regionalen Unglücksfälle und Verbrechen.

Beim kunstbetrieblichen Namedropping bewegt sich von dem, was einmal als kultureller Prozess im Fluss gewesen sein mochte, nichts mehr. Umgekehrt: Was sich kulturell bewegt, bewegt sich unabhängig von dieser Sphäre. Kulturelle Prozesse sind für den Kunstbetrieb wie Kometenschweife im Weltall vor den Fernrohren von Hobby-AstronomInnen, die an Sprachdurchfall leiden müssen, um auch ab und zu jemand zu sein.

(23.04.1997; 18.05.2006; 14.10.2017)

 

Nachtrag

In den letzten Jahren hat mich ein anderer Aspekt des Kunstbetriebs immer wieder geärgert. Die Sache ist die: Oft höre ich beim Kochen auf SRF2 das «Echo der Zeit». Wenn ich danach esse, lasse ich gewöhnlich das Radio weiterlaufen. Zu Beginn des Abendprogramms werden dann manchmal klassische Konzerte übertragen, und es kommt vor, dass ich mir das erste Stück des Konzertprogramms bis zum Schluss anhöre. Danach passiert immer das Gleiche: Aus dem Radio beginnt’s aufbrausend zu rauschen, ich erhebe mich, stelle das Gerät aus und brumme verärgert etwas von «Schimpansenkultur».

Die «Schimpansenkultur» ist für mich zum Begriff geworden für einen Aspekt des Kunstbetriebs: Kunstwerke, die von live auftretenden ArtistInnen in der Zeit entfaltet werden – also vor allem Musik und Schauspiel – werden grundsätzlich hinter Kassenhäuschen und meist in geschlossenen Räumen dargeboten. Gegenüber der Bühne werden dafür in parallelen Reihen möglichst platzsparend Stühle aufgestellt, um möglichst viele Sitzplätze verkaufen zu können. Vor diesem Publikum wird dann die zuvor in einem kulturellen Prozess erarbeitete Inszenierung als Kunstprodukt abgespult. Unübersehbar ist dabei die autoritäre Schulmeisterei: Schon immer war der Frontalunterricht für Indoktrinationen die probateste Vermittlungsform – auch wenn diese mit ästhetischen Absichtserklärungen bis heute zu Kunst veredelt werden.

Historisch gesehen war dieser Frontalunterricht im Sinn der Volksaufklärung vor und nach der Französischen Revolution zweifellos wichtig und richtig zur Vermittlung der bürgerlichen gegen die aristokratischen Werte. Später versuchten Leute wie Brecht, Eisler und viele andere, diese Funktion der Volksaufklärung im Dienst des Proletariats weiterzuentwickeln. Heute allerdings klären nicht mehr linke Kulturschaffende, sondern rechte Demagogen das «Volk» auf, und ihre Bühnen stehen nicht mehr in Konzertsälen und Schauspielhäusern. Wozu dient dann heute, frage ich mich, in jenen Häusern der autoritäre Frontalunterricht, der die «Schimpansenkutur» erzwingt?

Die einzige Rolle des Publikums bei solchen Anlässen ist nämlich tatsächlich  jene, nach Abschluss der Darbietung mittels mehr oder weniger Lärmerzeugung – dem sogenannten «Applaus» – sich vom Gebotenen begeistert resp. temperiert angetan zu zeigen. Ich habe vor ungefähr einem Vierteljahrhundert allgemach aufgehört, solche Veranstaltungen zu besuchen, weil ich einerseits nicht den Schimpansen machen mag und andererseits Respekt davor habe, sozial aufzufallen. Unterdessen bin ich deshalb zum routiniert grummelnden Radioabsteller geworden.

 (15.+17.10.2017; 25.06.2018)

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