Wie Hermann Bürgy ein «Konvolut» kauft

Die vielleicht instruktivste Verwicklung in Bezug auf die von mir behauptete Nicht-Warenform des «Konvoluts» ergab sich mit Hermann Bürgy, einem Rechtsanwalt und Notar in Fribourg, einem Freund von Niklaus Meienberg. Soweit ich diese Episode aus meinen Unterlagen rekonstruieren kann, passierte folgendes: Am 6. April 1990 veröffentlichte Meienberg in der WoZ seine Rezension des «Konvoluts», in der er mehr Mühe mit der «Nichtveröffentlichung» als mit den Texten zu bekunden schien.

Kurz darauf wendete sich Bürgy – ich nehme an, ermuntert von seinem Freund – an den Limmat-Verlag mit der Bitte, ihm ein solches «Konvolut» zu beschaffen. Mit Datum vom 19. April schrieb für diesen Verlag U. Zangger an Bürgy: «Ich hatte leider ziemlich Mühe, Ihre Bestellung zu entziffern. Sollte es sich um den Gedichtband von Fredy Lerch handeln, welcher von Niklaus Meienberg kürzlich in der WoZ besprochen worden ist, müssen Sie das Buch direkt bei der Wochenzeitung, Postfach, 8059 Zürich beziehen. Allerdings ist die Auflage offenbar sehr klein, und ich weiss nicht, ob das Buch verkauft wird. Wenn, dann nur über die WoZ.»

Postwendend schickte Bürgy diese schriftliche Mitteilung des Limmat-Verlags an die WoZ weiter, und notierte auf einer beigelegten Visitenkarte: «2x Fritz Lerch: Konvolut besten Dank H. B.» Auf der gleichen Visitenkarte steht in meiner Handschrift: «1 Expl. geschickt 11/5». Auf einer weiteren gleichen Visitenkarte steht in Bürgys Handschrift «dankt herzlich 13. Mai 90 H. B.» Und in meiner: «Poststempel 14/5/90 inkl. 100.-»

Das also war Meienbergs Pointe: Er wollte den «Konvolut»-Moralisten Lerch mit einer Hunderternote seines Freundes korrumpieren. Ich musste reagieren. Am 15. Mai schrieb ich mit eingeschriebenem Brief nach Fribourg:

«Lieber Herr Bürgy

Sie nehmen das Dichterwort noch zu wenig ernst: Das ‘Konvolut’ ist ein Konvolut und kein Buch; es ist keine Ware und wäre es eine, so würde ich den Preis auf 0 Franken ansetzen (‘zum geleit’, S. 5).

Es wird Ihnen demnach nichts anderes übrigbleiben, als das ‘Konvolut’ für 0 Franken entgegenzunehmen oder es mir zurückzuschicken. In diesem Fall wäre meine Zusendung ein Missverständnis gewesen.

Mit freundlichen Grüssen

fl.

PS: Beiliegend Ihre 100.- retour.»

Bürgy/Meienberg gaben nicht auf: Um den 20. Juni erhielt ich drei grosse Pakete, die insgesamt 18 Flaschen Riex-Weisswein und eine Flasche Armagnac beinhalteten. Bürgy schrieb auf einer Visitenkarte etwas kryptisch: «Beilage: ohne Kommentar Fredi Lerch informieren aber nicht tränken Mit besten Grüssen». Mein oben zitiertes, handgeschriebenes Brieflein war ebenfalls beigelegt, auf der Rückseite ergänzt um eine handschriftliche Notiz Meienbergs:

«Lieber Lerch, sehr gut, dass Sie kein Geld entgegennehmen, aber NATURALIEN in Form des veredelten Traubensaftes dürften wohl Ihr Wohlgefallen finden; und falls Sie denselben nicht in eigener Person goutieren mögen, würde ich, an Ihrer Stelle, diesen dem WoZ-Büro Bern unverbindlich zur Verfügung stellen und dergestalt eine Art von früh-christlicher Vergesellschaftung akzeptieren!

Mit nettem, striktem Gruss

Meister Meienberg (Fribourg, 16.6.90).»

Nun war ich wirklich gefordert. Am 26. Juni 1990 schickte ich einen Brief mit Beilage nach Fribourg und schrieb Folgendes:

«Lieber Herr Bürgy,

bei mir sind drei Pakete eingetroffen mit insgesamt 18 Flaschen Riex und einer Flasche Armagnac, von denen ich, trotz des Begleitschreibens von Meister Meienberg, annehme, dass sie in Ihrem Auftrag – zweifellos für das ‘Konvolut’ – verschickt worden sind. Ich konstatiere: Sie beharren darauf, dass das ‘Konvolut’ eine Ware sei, d. h. einen Tauschwert habe; ich hingegen versuche weiterhin, diese Tatsache (die ich im übrigen ernsthaft gar nicht bestreiten kann) mit meiner gesammelten Unvernunft so gut wie möglich ad absurdum zu führen.

Ich schlage Ihnen deshalb hiermit 1 sog. salomonischen Handel vor: Ich nehme die 19 Flaschen ‘veredelten Traubensaftes’ (wie der Meister begleitschreibt) in meinen Besitz und übergebe Ihnen als Wert-Äquivalent a) das ‘Konvolut’, b) beiliegendes Autograf eines nicht allzu unbedeutenden Textes eines nicht allzu unbedeutenden zeitgenössischen Autors.[1]

Das Salomonische an der Sache: Während ich Sie bitte, die Rechnung zu machen: 18 Fl. Riex + 1. Fl. Armagnac = ‘Konvolut’ + Autograf, rechne ich zur Rettung meines Seelenheils wie folgt: 18 Fl. Riex + 1. Fl. Armagnac = Autograf. Damit ist das ‘Konvolut’ in meiner Seele vor der bösen Warenform gerettet. In der Hoffnung, dass Sie die ausgeklügelte Salomonizität dieses Handels respektieren, erlaube ich mir, bei Gelegenheit der Entkorkung der ersten Flasche den ersten Schluck des ersten Glases auf Ihr Wohl zu trinken.

Mit freundlichen Grüssen

fl.

Kopie an Meister Meienberg

Beilage: Autograf des nicht allzu unbedeutenden Textes eines nicht allzu unbedeutenden zeitgenössischen Autors.»

Damit scheint es mir damals gelungen zu sein, Bürgy/Meienberg doch noch zu überzeugen. Auf jeden Fall habe ich von ihnen in dieser Sache nie mehr etwas gehört.

[1] Dem Schreiben beigelegt habe ich das Original-Typoskript von: Niklaus Meienberg: «Sprechstunde bei Dr. Hansweh Kopp». Dieser Text war im September 1984 in der WoZ erschienen (später nachgedruckt in: ders.: Der wissenschaftliche Spazierstock. Zürich [Limmat Verlag] 1985, S. 244ff.). Ich hatte damals am Ende einer Zeitungsproduktion im WoZ-Layout die stark handschriftlich bearbeiteten Schreibmaschinenblätter Meienbergs aus einem Stapel alter Typoskripte gefischt und so vor der Papierabfuhr gerettet. Bevor ich die Originale nach Fribourg schickte, machte ich mir Fotokopien. Diese liegen heute unter der Signatur Lerch-2-02-1-11 im Schweizerischen Literaturarchiv (SLA).

(27.2.2008; 18.09.2017; 20.06.2018)

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