Die Verweltwochisierung der WoZ

Auf dem Typoskript aus dem Jahr 1989 finde ich die Notiz: «vorgetragen am Plenum vom 8/6». Der vollständige Titel lautet: «Was ist ein WoZ-Thema? Oder: Die Verweltwochisierung der WoZ».

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«Die Weltwoche und die WoZ befinden sich heute in einem Konkurrenzverhältnis, weil sich das jeweilige Publikum innerhalb des linksliberalen Gesellschaftssegments überschneidet.[1] Diese Tatsache schlägt in der redaktionellen Arbeit beider Zeitungen auf die Zeitungsinhalte durch. Heute findet sowohl eine Verwozung der Weltwoche als auch eine Verweltwochisierung der WoZ statt. Die Absicht der jeweiligen Zeitung ist dabei, der anderen durch Anpassung respektive Vereinnahmung das Wasser abzugraben. Da die ökonomischen Mittel einseitig verteilt sind, ist absehbar, dass die Weltwoche bei der Vereinnahmung der WoZ mehr Erfolg haben wird als die WoZ beim Sich-Anpassen an die Weltwoche. Je weiter dieser Prozess unhinterfragt voranschreitet, desto stärker werden die beiden Zeitungen in ein Konkurrenzverhältnis geraten, weil sich ihre Inhalte immer mehr annähern und sich dadurch die Überschneidung des Zielpublikums vergrössern wird.

Dass die Verwozung der Weltwoche für die WoZ ein Thema geworden ist, habe ich an der diesjährigen Generalversammlung zum ersten Mal offiziell gehört, als zu meiner Überraschung bei der Diskussion der letztjährigen Finanzergebnisse der ökonomische und publizistische Erfolg der Weltwoche als Gradmesser für die kommenden WoZ-Anstrengungen dargestellt wurde. Der häufigere Blick auf die Weltwoche als Konkurrenz hat mittlerweile mehrere Argumentationslinien an Gewicht gewinnen lassen, die unsere redaktionelle Arbeit beeinflussen:

• Zum Beispiel wird gesagt, viele WoZ-Geschichten würde heute auch die Weltwoche drucken. Die prominenten WoZ-AutorInnen könnten heute auch dort publizieren. Diese Tatsache verändere die publizistische Funktion der WoZ.

• Oder es wird gesagt, viele WoZ-Geschichten beschäftigten sich zu ausgiebig mit Randgruppen und Randphänomenen. Die WoZ müsse häufiger in ‘gesellschaftspolitisch wesentliche’ Themen eingreifen.

• Es wird gesagt, zu viele WoZ-Geschichten seien zu lang, zu schwerfällig, zu leserInnenunfreundlich, zu theoretisch etc.

• Es wird gesagt, ein immer grösserer Teil des WoZ-Publikums halte sich die WoZ zwar noch aus Solidarität zum Projekt, lese aber lieber und öfter die Weltwoche.

Dieses nicht ressentimentfreie Schielen nach der grösseren, dickeren, erfolgreicheren, älteren Zeitung mit den höheren Löhnen, die dort verwozt, wo sie sich ökonomischen Erfolg davon verspricht, die das einkauft, was sie brauchen kann (z. B. Meienbergs Wille-Serie[2]), hat in letzter Zeit vermehrt zu einer tendenziellen Verweltwochisierung der WoZ-Inhalte geführt. Ich behaupte: Nicht nur vereinnahmt die Weltwoche WoZ-Leute und WoZ-Geschichten, sondern die WoZ biedert sich umgekehrt im Gerangel um einen Platz an der Sonne an bei der Weltwoche. Ich versuche diese Behauptung mit drei kommentierten Thesen zu belegen.

These 1: Die WoZ verweltwochisiert, weil sich die Wirklichkeitswahrnehmung jener, die sie machen, verändert.

Für die journalistische Arbeit die beste Art, die Wirklichkeit wahrzunehmen, wäre jene, live, mit möglichst guter Übersicht vor Ort das Geschehen mitzuverfolgen; in direkter, kritisch solidarischer Auseinandersetzung mit jenen, die die relativ linkere Interessenlage vertreten. Da dies in den seltensten Fällen möglich ist, sind wir auf mündliche und schriftliche Quellen angewiesen. Bei den schriftlichen Quellen gibt es zwei grundsätzlich verschiedene: authentische, ideologisch uneinheitliche von unten und professionelle von oben, die formal und ideologisch auf jenen Level gestylt sind, der im bürgerlichen Journalismus als professionell gilt. Die WoZ-Leute stützen sich, so meine These, bei ihrer Wirklichkeitswahrnehmung immer häufiger bis ausschliesslich auf die Rezeption von bürgerlichen Medien, vor allem von Fernsehen und grossen Tageszeitungen; und zwar in der Meinung, in jedem Fall das Vermittelte ideologiekritisch decodieren zu können, also: immer herauszufinden, wie es gemeint sei und daraus: immer zu wissen, wie es wirklich gewesen ist. Diese Selbstüberschätzung der eigenen ideologiekritischen Fähigkeiten führt zu einer standardisierten, normierten Wirklichkeitswahrnehmung, die jener immer ähnlicher wird, die auch das Hirn eines durchschnittlichen Weltwoche-Redaktionsmenschen prägt. Deshalb sind sich die beiden Redaktionen belegbarerweise von Jahr zu Jahr mehr einig, was in einem bestimmten Augenblick Thema sein soll und vor allem: was nicht.

Wenn der WoZ-Journalismus nicht wieder vermehrt mündliche und schriftliche Quellen von unten berücksichtigt — und zwar nicht nur, um Lokalkolorit und Human Touch zu erhalten, sondern um sich durch sie zu WoZ-Themen inspirieren zu lassen –, dann lässt er sich immer mehr von der ideologischen Themensetzung durch nationale Interessengruppen und internationale Nachrichtenagenturen manipulieren; dann ist die weitere Verweltwochisierung der WoZ-Themen zwangsläufig.

These 2: Die WoZ verweltwochisiert, weil sich gesellschaftliche Position und Ambition jener, die sie machen, verändert.

Auf der WoZ wissen alle – ob sie in Satz, Layout, Administration oder Redaktion arbeiten – dass sie dies, wenn sie einmal eine gewisse Berufserfahrung haben, unter ihrem Marktwert tun. Alle könnten, respektive jede und jeder könnte für sich mehr verdienen und die Arbeit mit grösserem Sozialprestige machen, wenn er oder sie diese nicht für die WoZ täte. Jahr für Jahr sehen wir mehr, zum Teil nach unserer Einschätzung ziemlich unfähige Leute die Karriereleitern hinaufkraxeln. Die Tatsache, dass jeder und jede diese Beobachtung macht und dass sie je länger, desto mehr an die Nieren geht, ist ein striktes WoZ-Tabu.

Klar: Es hat keinen Sinn, uns wegen diesem Sachverhalt permanent ins Gilet zu grännen; es gibt Gründe, warum das so ist. Andererseits hat die völlige Tabuisierung unserer als unterbewertet empfundenen ökonomischen und sozialen Position dazu geführt, dass das Problem durch die Hintertür, über das verdrängte Wünschen und Wollen der Einzelnen, gerade auch der RedaktorInnen, wieder auftaucht und durchschlägt auf die Beantwortung der Frage, was ein WoZ-Thema sei.

Wenn es stimmt, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt, dann stimmt es auch, dass bei einem 100 Prozent-Lohn von 2400 Franken gewisse Themen – zum Beispiel die ‘Neue Armut’, subkulturelle Szenen in der Schweiz oder Basisbewegungen in anderen Ländern – unsere permanenten Themen sein müssten. Kaum mehr als ab und zu eine ethnologische Reportage hergeben würden dann das durchschnittliche parlamentarische Rauschen in den Winkeln der Eidgenossenschaft, der Saisonflip der offiziellen Kulturschweiz auf Russisches und Sowjetisches oder die rituellen Herrschaftslegitimationen in aller Herren Länder, die man auch als ‘Regierungswahlen’ bezeichnet. Da es aber, obschon tabuisiert, so ist, dass das durchschnittliche WoZ-Bewusstsein permanent ein etwas besser gestelltes WoZ-Sein antizipiert – wovor uns gewiss keine recht gewerkschaftlich denkende linke Seele stehen kann –, ist es, ebenfalls tabuisiert, so, dass das durchschnittliche WoZ-Bewusstsein mittlerweile einen ziemlich ausgeprägten Hang zu sogenannt ‘wesentlicheren Themen‘ entwickelt hat, zu Themen, über die zu reden ein wenig mehr Sozialprestige und eine etwas grössere LeserInnenschaft verspricht.

Wenn wir zu den gleichen Löhnen wie die Weltwoche-Leute arbeiten würden, würden wir im Prinzip eine Weltwoche machen. Zwar würden die Unterschiedlichkeiten auf den jeweiligen Redaktionen weiterhin durch die gutkapitalistische Animosität der Konkurrenz ins Illusionäre aufgeblasen, aber für das durchschnittliche Publikum wären WoZ und Weltwoche dann endgültig Hans was Heiri. Unser gesellschaftliches Sein und damit unser Bewusstsein verändert sich, sobald wir unsere ökonomische Situation verändern. Dass wir das schon mehrmals getan haben, ist nicht schlecht. Aber ich sage: Es ist dumm, wenn wir uns einbilden, wir seien von dieser Sein-Bewusstsein-Dialektik nicht mitgemeint. ‘Die ihre materielle Produktion in ihren materiellen Verkehr entwickelnden Menschen ändern mit dieser ihrer Wirklichkeit auch ihr Denken und die Produkte ihres Denkens’, sagt Marx in der ‘Deutschen Ideologie’[3] und man darf hinzufügen: Sie ändern auch die Inhalte ihrer Zeitungen.

These 3: Die WoZ verweltwochisiert, weil jene, die sie machen, immer deutlicher auf einen bürgerlich längst besetzten Aufklärungsbegriff einschwenken.

Mit der Aufklärung ist es so: Jede Zeitung, die nicht kaltschnäuzig dazu steht, dass ihr einziger Zweck das Geldmachen sei, erhebt den Anspruch, Inhalte zu vermitteln zwecks Erbauung und Aufklärung des Publikums. Vorab die WoZ, in deren Umfeld sich eine ganze Reihe von Leuten tummelt, die sich mit dem Begriff der Aufklärung wiederholt öffentlich auseinandergesetzt haben und in der auch intern die Aufklärung ab und zu als Argument für dies und das herhalten muss, ist ein Medium der Aufklärung. Der Begriff der Aufklärung wird ja gewöhnlich als säkularisierte Version des Begriffs der Mission verwendet: Jeder vernagelte Geist auf diesem Erdenrund soll unseres hellen Lichtes mindestens einmal angesichtig geworden sein, auch wenn es danach um ihn wieder dunkel wird. Auf das Gewerbe des Zeitungsmachens übertragen heisst das: Jeder vernagelte Geist soll die WoZ mindestens abonnieren, auch wenn er sie nie liest.

Für eine Zeitung mit Aufklärungsanspruch, vorab also für die WoZ, existiert ein legitimes Interesse, immer grösser zu werden, um immer mehr vernagelte Geister zu erleuchten. So verschränken sich Aufklärung und ihr Instrument, die per Definition universale und unteilbare Vernunft mit der Fortschritts- und Wachstumsideologie des aufstrebenden privatwirtschaftlichen Unternehmens WoZ aufs erquicklichste nach dem Motto: Je mehr Seiten, desto Aufklärung; je mehr Lohn, desto Vernunft. Aus diesem Verständnis von Aufklärung ergibt sich eine redaktionelle Tendenz, mit der grossen Kelle anzurühren, grosse Themen, bedeutende Namen zu bevorzugen. Zum Beispiel im Inland das Fordern der grossen Kopp-Geschichte im letzten Winter[4], obschon von der WoZ niemand je eine Chance hatte, an diese Geschichte heranzukommen. Oder einige in dieser Beziehung instruktive Themenschwerpunkte im Kulturteil der letzten Zeit: Rushdie, der Kampf des orientalischen Mittelalters mit der Vernunft des aufgeklärten Westens; Zensur in Europa; Soyinka, das Sprachrohr Schwarzafrikas. Die Tendenz geht zurzeit zu Themen von kontinentaler Tragweite. Wer weiss, mit der WoZ 90 sind dann intergalaktische Fragestellungen zu befürchten.

Je mehr die WoZ einpendelt auf dem Aufklärungsanspruch der grossen Namen und Themen, der einen zwar ziemlich seichten, aber ziemlich prestigeträchtigen internationalen Diskurs pflegt, desto mehr nähert sie sich dem bürgerlichen Prestigeblatt Weltwoche an.

Zusammenfassend wird die WoZ verweltwochisiert,

• weil sich die Wirklichkeitswahrnehmung jener, die sie machen, verändert;

• weil sich gesellschaftliche Position und Ambition jener, die sie machen, verändert;

• und weil jene, die sie machen, immer deutlicher auf einen bürgerlich längst besetzten Aufklärungsbegriff einschwenken.

Bevor demnach auf der WoZ über das Unveränderliche gejammert wird, über die Verwozung der Weltwoche, die eine Vereinnahmung von Themen und AutorInnen ist, müsste auf der WoZ eine Diskussion über das Veränderbare geführt werden, über die Verweltwochisierung der WoZ, die eine Anbiederung an eine nach kapitalistischen Kriterien erfolgreiche Zeitung ist.

Ich hoffe, die Diskussion hiermit angeregt zu haben.

fl

7.6.89»

[1] Seit die WoZ bestand, steuerte die Weltwoche unter den Chefredaktoren Rudolf Bärchtold und Jürg Ramspeck einen linksliberalen Kurs. Seit die Zeitung 2001 von Roger Köppel (Christoph Blocher) übernommen worden ist, kann sie mit der zuvor erschienenen Zeitung gleichen Namens nicht mehr vergleichen werden.

[2] Gemeint ist: Niklaus Meienberg: Die Welt als Wille & Wahn. Zürich (Limmat Verlag) 1987. Diese «Elemente zur Naturgeschichte eines Clans» – so der Untertitel der historischen Reportage – sind im Frühling 1987 zuerst als Artikelserie in der Weltwoche erschienen.

[3] Karl Marx/Friedrich Engels: Die deutsche Ideologie. Werke Band 3. Berlin (Dietz Verlag) 1983, S. 27.

[4] Gemeint ist der «Kopp-Skandal», der am 12. Dezember 1988 zum Rücktritt der Bundesrätin Elisabeth Kopp geführt hat.

(07.06.1989; 22.08.2017, 03.06.2018)

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